So viel zu tun, so wenig Kraft

In knapp 2,5 Monaten ziehen wir um.

Ziehen in meine alte Heimat, verlassen unser schönes Haus im Ruhrgebiet, verlassen unser Gym, unsere Arbeitsstelle (nur physisch), die Kita des Kleinen (mit den beiden Betreuerinnen, die er wirklich liebt) und unsere Gewohnheiten, Wege, ja, unser ganzes Leben der letzten 8 Jahre.

Wir haben endlich ein Haus gefunden, welches auf unsere Anforderungen passt, nicht zu teuer ist, und wirklich schön gelegen.

Ein großer Teil von mir freut sich darauf, endlich wieder bei Familie und Freunden zu sein, ein kleiner Teil hat doch schon etwas wie Wehmut. Aber, was mich viel mehr beschäftigt, ist, wie meine Familie damit umgehen wird und kann.

Meine Frau sieht Zahlen, Unwegbarkeiten und die Probleme, die auftauchen könnten. Wir haben eine riesige to-do-Liste. Wir müssen uns zeitgleich auch noch darum kümmern, unsere Autos loszuwerden und ein neues zu organisieren. Streichen, Handwerker bestellen, Küche aufbauen lassen, um gestiegene Gas- und Strompreise kümmern, Farben zum Streichen suchen, Telefon- und Internet umbestellen, das alte Haus übergabefertig machen, Sachen aussortieren, packen, Sperrmüll klarkriegen und so weiter. Und wir haben hier einfach niemanden außer uns. Das ist viel zu tun für zwei Leute, die in Vollzeit arbeiten und noch ein sehr forderndes Kleinkind betreuen.

Immerhin: Der Große freut sich jedenfalls sehr auf die neue Schule, neue Leute und ein neues Leben. Und das nimmt mir schon mal einen riesigen Klotz von den Schultern.

Der Kleine ahnt vermutlich etwas, ist aber noch viel zu klein, um zu verstehen, was auf ihn zukommt. Dass sich sein Leben in 2.5 Monaten komplett ändern wird, und er seine Betreuerinnen und seinen Best-Buddy aus der Kita vielleicht niemals wiedersehen wird.

Klar, man kann sagen, dass er noch klein ist, sich schon umgewöhnen wird, und das ist sicherlich alles richtig. Was mir das Herz bricht, ist, dass er kein Mitspracherecht hatte, und nicht einmal weiß, dass er seine beiden Betreuerinnen nicht wiedersehen wird und sich nicht einmal verabschieden kann.

Er ist ein wundervoller, sehr emotionaler und sehr liebenswerter kleiner Mensch und die beiden sind, da wir hier ja komplett ohne Familie und Freunde waren, seine Familie. Die gehören dazu. Sie werden auf einmal nicht mehr da sein, und er weiß nicht einmal, wieso.

Klar, er kommt in einen neuen Kindergarten, bekommt viel mehr von seiner Familie und Freunden mit, wo auch viele Kids in seinem Alter sind. Aber trotzdem. Das ist ein großer Verlust für so einen kleinen Kerl, und ich hoffe, wir können das irgendwie auffangen.

Es sind nur noch ein paar Monate, und je näher der Termin rückt, desto surrealer wird das alles für mich. Durch die Coronasituation wird alles nicht nur surrealer, sondern geradezu bizarr.

Ich werde jetzt alles dafür tun, mir den Dreck nicht noch durch Unachtsamkeiten einzufangen, nicht mehr zum Boxen gehen (zumindest nicht vor der Booster-Impfung), im Homeoffice arbeiten und hoffen, dass niemand das in Kita oder Schule anschleppt.

Wir sind müde und erschöpft. Müde von der Aufgabe, die vor uns steht, müde von den drei Jahren, die ohne irgendeine Form von Unterstützung mit Kleinkind hinter uns liegen, müde von der Corona-Situation, uns sitzen die Lockdowns vom letzten Jahr immer noch in den Knochen und eigentlich können wir nicht mehr.

Wir schleppen uns von Tag zu Tag, zählen Stunden und manchmal auch Minuten. Wir freuen uns, wenn wir aufstehen, schon darauf, endlich Abend zu haben und wieder schlafen zu können. Dabei schlafen wir seit drei Jahren nur mit Unterbrechungen. Selbst, wenn wir mal, was selten ist, durchschlafen, hilft das nicht, auch nur einen kleinen Balken des Akkus wieder aufzuladen.

Konzernwohl und Elternleid

Anfang Februar 2021. Fast ein Jahr mit Corona.

Fast ein Jahr, in dem sich so viel verändert hat.

Wir kennen jetzt viele neue Dinge, die wir vor einem Jahr nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätten (Covidioten, Impfverweigerer, Schodo Biffmann, Jana aus Kassel, „Sturm“ auf den Reichstag, massive Rechtsausleger in unseren Sicherheitskräften und in der Politik).

Wir sehen, wie schnell sich menschliche Abgründe auftun können, wenn man ein bisschen anders ist als Friede Freude Arschkuchen im Wohlstandsland Deutschland.

Wir sehen, wie dünn der Boden unserer Zivilisation ist, wenn es darum geht, auch in einem Ausnahmefall einen kühlen Kopf zu bewahren.

Wir sehen, wie viele Menschen Scharlatanen wie Schiffmann, Hildmann, Feuerstein, Fuellmich und natürlich der AfD hinterherrennen.

Wir sehen, wie diese Personen und Gruppierungen alles daran setzen, unserem Staat zu schaden. Unser aller gemeinsames Leben unerträglicher zu machen.

Wir sehen auch, wie der Staat auf ganzer Linie versagt, wenn es darum geht, Konzepte zur Sicherheit unserer Kinder auszuarbeiten. In einer globalen Pandemie, die jeden Tag durch neue Mutationen des Virus schlimmer wird, sollen Kinder so schnell wie möglich wieder Schulen (und Kitas) besuchen, weil Präsenzunterricht das Einzige ist, was sich Kultusminister und Ministerpräsidenten vorstellen können.

Juli 2020 wurden per Corona Hilfe I vom Bund 500 Millionen bereitgestellt. Aufgeteilt werden diese Hilfen nach dem Königsteiner Schlüssel. Die Länder geben zu den erhaltenen Hilfen einen Eigenanteil von 10% hinzu. Macht insgesamt auf die BRD gerechnet eine Summe von 550 Millionen. Weitere 500 Millionen gab es im November 2020, dieses Mal zur Förderung von Administratoren. Scheinbar hat man gemerkt, dass Rechner allein noch nicht viel helfen, die müssen auch eingerichtet und verwaltet werden. Noch später hat man gemerkt, dass nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer adäquates Arbeitsmaterial benötigen, und so gab es auch noch einmal 500 Millionen für Lehrer-Laptops.

Das sind 1.5 Milliarden Euro, und das klingt erst einmal nach sehr viel Geld. Aber schauen wir uns an, was der Staat an Hilfen für Konzerne und Unternehmen ausgibt.

460 Millionen bekommt Karstadt zur „Rettung“.
TUI bekommt 1.8 Milliarden.
Die Lufthansa bekommt 9 Milliarden. Und entlässt dennoch viel Personal.
Adidas bekommt 2.4 Mrd Euro.

Viel deutlicher kann ein Staat nicht zeigen, wie egal ihm die Gesundheit von Kindern und Lehrern (und sonstigem an diesen Einrichtungen arbeitenden Personal!) ist.

Die Politik, allen voran CDU und FDP wollen öffnen, öffnen, öffnen.

Und das, wo zwar im Moment die Infektionszahlen sinken, aber die Mutationen erst gerade im Begriff sind, richtig loszulegen bzw, noch gar nicht richtig bei uns angekommen sind.
Die Mutation B117 ist ansteckender und tödlicher – betroffen davon sind hauptsächlich Menschen unter 20. Und das sind in der Regel Kinder und ältere Schüler.

Zum angeblichen Wohl der Kinder sollen Schulen und Kitas wieder aufgemacht werden. Das Wohl der Kinder, die bis vor Corona auch niemanden interessiert haben. Aber jetzt, wo die Eltern auf einmal nur noch, eingeschränkt zwischen Arbeit, Homeoffice, Kinderbetreuung und Homeschooling und Arbeitgeber mürrisch werden, weil die Arbeitsleistung nicht mehr erbracht werden kann, wo es Geld kostet, die Schulen auf einem annähernd aktuellen technischen Stand zu bringen, da interessiert das Kindeswohl auf einmal.

Da wird sie dann hervorgeholt, die heilige Kuh Präsenzunterricht.

Für Eltern, gerade für Eltern, bei denen beide Elternteile arbeiten, ist die Situation untragbar geworden. Seit Monaten müssen Kleinkinder betreut oder ältere Kinder im „Homeschooling“ unterstützt werden. Zusätzlich zur Vollzeitarbeit.

Das Equipment für Schüler und Lehrer ist immer noch unzureichend, die Datenleitungen oftmals weniger als ungenügend; ein Verdienst der Verschleppung der Digitalisierung der letzten 20-30 Jahre. So kann kein moderner, und vor allem für Lehrer und Schüler sicherer Unterricht stattfinden.

Kitas befinden sich im „Notbetrieb“.
Eine Umfrage* in Kindertagesstätten zeichnet ein interessantes Bild des „Notbetriebs“:

Kurzübersicht der Auswertung/Inhalte

  • 77,13 Prozent der Tageskinder (12.089 Kinder) in den befragten Kindertagespflegestellen nutzen derzeit trotz Appell die Betreuung.
  • 32,8 Prozent der Eltern nutzen die Betreuung aufgrund der Berufstätigkeit beider oder alleinerziehender Elternteile, familiärer Überlastung oder aus Gründen des Kindeswohls.
  • In 8,9 Prozent der Tagespflegestellen besuchen ein oder mehrere Kinder derzeit die Betreuung, da die Eltern Covid-19 nicht als Gefahr empfinden und Kontaktbeschränkungen als überflüssig erachten.
  • In 67,4 Prozent der Kindertagespflegestellen besuchen ältere Geschwisterkinder eines oder mehrerer Tageskinder derzeit andere Betreuungsformen (Kita, schulische Notbetreuung).

Sicher. Es gibt erweiterte Kinderkrankenscheine. Aber den damit einhergehenden Einkommensverlust muss man sich leisten können. Auch muss man einen Arbeitgeber haben, der diese Kinderkranktage toleriert. Bei einer fast 3/4-Nutzung der Kindertagesstellen wird deutlich, dass das eher die Ausnahme als die Regel ist.

Konzerne werden mit Milliardenbeträgen unterstützt. Eltern, Kinder und Betreuungspersonal, gerade in Kitas werden allein gelassen. Für Mitarbeiter in Kindertagesstätten gibt es mehrere (bei uns 6) Corona-Test (bis Ostern) und sporadische, aber nicht ausreichende Maskenzuteilungen. Weitere Fördermittel wurden noch nicht angeboten.

Es gilt die Aufforderung, Kinder möglichst zu Hause zu betreuen. Das schiebt die Verantwortung, die eigentlich der Politik zusteht, auf die Schultern der Eltern.

Aus eigener Erfahrung wissen wir: Das funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad.

Nach zwei Monaten Schichtarbeit / Kleinkindbetreuung waren bei uns alle Reserven aufgebraucht und die Nerven lagen blank. Wir haben uns schweren Herzens dazu entschlossen, den Kleinen wieder in die Kita zu bringen. Die Gefahr, dass er an Corona erkrankt und Langzeifolgen davonträgt, ist gegeben und drückt ebenfalls auf unsere Schultern. Wir haben das Glück, in einer Kita mit einer einstelligen Zahl anderer Kinder zu sein; die Inzidenzwerte in unserer Stadt sind relativ gering. Dieses Glück haben viele andere Eltern, denen es ebenso wie uns geht, sicherlich nicht.

Statt Milliarden für Unternehmen auszugeben, wäre es an der Zeit, dass die Politik anfängt, an die Eltern zu denken, die mit dieser Situation irgendwie umgehen müssen.

Die Situation wird sich, dank der Mutationen des Virus und der mehr als schleppend vorangehenden Impfungen, auf unsabsehbare Zeit hinziehen.

Eine wirkliche Entlastung der Eltern ist wirklich nur möglich, wenn Kinderkrankentage ohne Gehaltsverlust oder Stundenreduktion bei vollem Lohnausgleich möglich sind.

Hier sollte die Politik schnellstmöglich handeln.

*Umfrage zur beruflichen und privaten Situation der Kindertagespflegepersonen in NRW mit Stand vom 14.01.21, Befragung von Montag, den 11.01.21 bis Donnerstag, den 14.01.21 Teilnahme: 3442 Kindertagespflegepersonen aus NRW mit rund 5.673 Betreuungsverträgen

Müde.

Das Jahr ist keine zwei Monate alt und ich bin so unglaublich müde.

Ich bin müde von Corona.
Ich bin müde von Leuten, die Corona leugnen und alles nur noch schlimmer für alle machen.
Ich bin müde von einer Regierung, die von Anfang an nicht auf Leute hört, die sich mit Pandemien auskennen und sich stattdessen beraten lässen von Menschen, die mit allem, was sie seit Anfang der Pandemie gesagt haben, falsch lagen.
Ich bin müde davon, dass Familien in dieser beschissenen Zeit einfach verheizt und hängen gelassen werden und das Wichtigste „die Wirtschaft“ ist.
Ich bin müde vom Winter.
Ich bin müde von der Dunkelheit, dem Regen, der Kälte.
Ich bin müde von der Arbeit.
Ich bin müde, wegen unserer Einsamkeit hier und alle Freunde und Familie hunderte Kilometer weit weg zu wissen.
Ich bin müde vom Druck, der auf unserer Familie lastet, die alles ohne jegliche Hilfe von außen allein stemmen muss.
Ich bin müde davon, diesen Druck nicht mehr auzuhalten.
Ich bin müde davon, dass ich nicht so viel Energie für meine Kinder habe, wie ich gern hätte.
Ich bin müde davon, wegen meiner Schwäche den Kleinen wieder in die Kita bringen zu müssen.
Ich bin müde davon, meiner Frau wegen meiner Schwäche noch mehr Last aufzuhalsen.
Ich bin müde, weil ich Angst um den Kleinen habe.
Ich bin müde aus Angst, dass er sich infiziert.
Ich bin müde aus Angst, dass er meine Frau und/oder mich infiziert und schlimmstenfalls als Halbwaise oder Waise aufwachsen muss und sich den Rest seines Lebens fragt, wie sein Papa oder seine Mama waren.
Ich bin müde, weil ich keine Verbesserung der Lage sehe.
Ich bin müde, weil ich manchmal einfach nicht mehr weiter kann.
Ich bin müde, weil ich manchmal einfach nur weinen möchte aber nicht mal das kann.
Ich bin müde, weil die Müdigkeit mir soviel Kraft entzieht.
Ich bin müde, weil ich selbst nicht ruhen kann, wenn ich schlafe.

(fast) 1 Jahr Kinder und Corona

So als Eltern mit Kindern, die sich noch nicht selbst versorgen können, wird man ja im Moment komplett alleine gelassen. Die Arbeit soll erledigt werden, die Rechnungen bezahlt, und die Kinder betreut. Die Politik interessiert sich einen Scheiß dafür, wie man das stemmen soll. Ich persönlich bin langsam am Ende meiner Kräfte angekommen.

Ich stehe so auf, dass ich um 5, spätestens 6 Uhr mit der Arbeit anfangen kann. Wenn ich um 14 Uhr mit dem Arbeiten fertig bin, gibt es fliegenden Wechsel zum 2-Jährigen, der meine komplette Aufmerksamkeit braucht. Bis dahin kümmert sich die Mama um ihn. Die arbeitet gleich im Anschluss bis Abends. Um 19.00 essen wir zu Abend, um 20.00 geht der Kleine mit der Mama ins Bett.

Ich schaffe es meist noch 1, 2 Folgen einer random Serie zu sehen, alternativ ein bisschen Ausgleichssport. Dann falle ich mehr oder weniger tot ins Bett, schlafe meist schlecht und morgens geht es dann weiter. Die Konzentrationsfähigkeit leidet, die emotionalen Reserven sind aufgebraucht.

Ein Ende ist nicht in Sicht.

Die Meldungen von Mutationen setzen noch mal mehr Druck auf die Spannungsspirale. Ich nehme Vitamin D, Johanneskraut, in der Hoffnung, dass es alles ein wenig erträglicher macht. Wenn es das schon tut, so möchte ich nicht wissen, wie es mir ohne ginge.

Ich sehe, wie Fluglinien gerettet werden. Ich sehe, wie Autohersteller Finanzspritzen kriegen. Ich sehe, wie Verkehrsminister Milliinenbeträge in den Sand setzen. Ich sehe, wie Ministerpräsidenten im Dezember erkennen, dass Corona doch keine einfache Erkältung ist. Ich sehe Menschen gegen Masken demonstrieren, ein unglaubliches Zeugnis von Dummheit & Egoismus.

Wir sitzen seit März mit kurzer Unterbrechung im Homeoffice. Wir haben kein Gym mehr, wir treffen niemanden und gehen nur zum Einkaufen unter Leute.

Und ich mag nicht mehr. Ich habe keine Kraft und keine Lust mehr.

Vor allem aber habe ich keine Lust mehr darauf, inkompetenten Politikern beim herumgeschachere um Leben gegen Wirtschaft und Stimmen zuzusehen. Ich möchte, dass endlich Eltern geholfen wird.

Die Erhöhung der Kinderkrankentage ist ein schlechter Scherz, und der dazu passende Lohnausgleich das i-Tüpfelchen Arschtritt oben drauf.

Eine Stundenreduzierung bei Lohnausgleich ist das Einzige, was wirklich weiterhilft. Lüftungsanlagen in Schulen helfen uns. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in Kitas und Schulen gehen müssen und wir in der permanenten Angst leben, was sie von da mit nach Hause bringen.

Macht endlich den ganzen Bums für 3 Wochen dicht, damit wir endlich aus dieser Scheisse rauskommen und hört auf rumzueiern!

40 Jahre Tsunami

Heute ist der 2. November 2020, genau 40 Jahre nach dem wohl einflussreichsten Ereignis in meinem Leben.

Vor 40 Jahren habe ich meinen Vater verloren; oder besser, er hat sich mir genommen.

Depression ist ein Arschloch.
Aufwachsen ohne Vater ist ein Arschloch.

Der 2.11.1980 war eine Katastrophe für mich, für meine Mutter, für meine ganze Familie. Ein Erdbeben, ein gigantischer Tsunami. Erschütternd bis ins Mark. Vernichtend. Ein schwarzes Loch, das so unglaublich viel Lebenskraft gekostet und Zerstörung hervorgerufen hat.

Die Nachwirkungen dieses Erdbebens fühle ich immer noch. Jeden Tag auf´s Neue spüre ich die Sogwirkung, die so viel in sich hineingezogen hat und nichts freiwillig wieder hergibt. Sich mit giftigen Klauen an  das krallt, was sie erobert hat. Freude, Optimismus, Glück.

Den Sog spürte ich, als ich noch nicht einmal verstand, was passiert war, spürte ich in der Schule, im Studium, auf der Arbeit. Wenn ich meine Mutter sehe, wenn ich mein Elternhaus sehe, wenn ich sehe, was es aus meine Mutter gemacht hat. Wenn ich sehe, was es in mir angerichtet hat.

Ich spüre dieses Riesenloch, dass in mir existiert, seit ich 4 Jahre alt bin, und das niemals gefüllt werden kann und mich auch heute noch an schlechten Tagen auffrisst und zerreisst. Es gibt immer noch den kleinen 4-jährigen Jungen, der nicht weiß, und nicht versteht, was passiert ist, der nicht weiß, woher diese Leere kommt, was mit seinem Papa passiert ist, der einfach nur weiß, dass er ihn vermisst, und der nicht versteht, dass er seinen Papa nie wieder sehen wird.

40 Jahre später. Jetzt bin ich der Papa.
Und ich werde alles dafür tun, dass mein Sohn niemals das durchleben muss, was mir passiert ist. Ich möchte ihm ein guter Papa sein, der Beste, der ich sein kann. Und ich will, solange ich irgendwie kann, für ihn da sein.

Weil das das Wichtigste ist, was es gibt.

Ursachen und Konsequenzen

Letzte Woche hatte ich einen Breakdown.

Im Grunde ging´s um nichts wirklich Schlimmes. Ich arbeite in der Softwareentwicklung, habe jetzt mehrere Monate an einem speziellen Teilbereich eines Projekts gesessen und dieser Teilbereich wurde zum ersten Mal für´s Team veröffentlicht.

Innerhalb von kurzer Zeit kamen 10, 20, 30, 50 Issues rein, von allen Seiten. Ein Ticket nach dem anderen wurde geöffnet, und mit jedem Ticket stieg mein Stresslevel. Ich konnte kaum noch lesen, oder verstehen, was da stand. Mein Gehirn schaltete komplett ab, ich war komplett im Panikmodus.

Das Gefühl, komplett unfähig zu sein, den falschen Job zu haben, besser irgendwas zu machen, was einen IQ auf ungefähr der Ebene einer halbwegs intelligenten Ziege erfordert, ging durch meinen Kopf. Und das war das Einzige.

Tunnelblick, Wut auf mich selbst und eine gehörige Portion Selbstverachtung können einem schon ein bisschen den Tag versauen.

Das alles liegt natürlich nicht an meinem Job, nicht an meiner Firma, und schon gar nicht an meinen Kollegen. Das ist wirklich alles super. Ich war, glaube ich, noch nie in einer Firma und Kollegen mit so viel Verständnis, Toleranz und Support.

Dieser Dreck kommt direkt aus meinem Kopf. Aus meiner eigenen Vergangenheit. Und es fällt mir so unglaublich schwer, damit fertig zu werden, das Kapitel „Du bist nicht gut genug, du bist zu dumm, du bist zu faul“ dahin zu verbannen, wo es hingehört: ins Nichts. Es fällt mir unglaublich schwer, darüber zu sprechen, vor allem, das zu kommunizieren, wenn ich gerade wieder im Meltdown bin; also dann, wenn es am nötigsten wäre.

Das Problem ist auch nicht, dass ich nicht wüsste, woher das kommt.

Die Wurzeln des Übels

Ich weiß genau, wo das herkommt. Sowas passiert, wenn man als Eltern seinen Kindern nicht zuhört. Wenn man alles glaubt, was Personen wie Lehrer über das Kind sagen. Nur das Kind nicht anhört, wenn es etwas zu sagen hat. Oder, wenn man mal zuhört, dem Kind nicht glaubt. Die Schuld für alles, was passiert, dem Kind gibt, aber niemals jemand anderem. Und die Schuld auch immer als erstes beim Kind sucht.

 

 

Der "erste" Mathelehrer und ich

In der 5. und 6. Klasse hatte ich einen Lehrer in Mathe und Physik, der mich, wenn ich die Hausaufgaben nicht hatte, weil ich sie nicht konnte, an die Tafel gestellt hat, wo ich dann die Aufgabe, die ich schon zu Hause nicht konnte, vor der ganzen Klasse rechnen sollte. Konnte ich das nicht (wie auch, mit dem Druck, dass die ganze Klasse einem zusieht, wie man etwas nicht kann), gab´s nicht nur eine mündliche 6 für die nicht gemachten Aufgaben, sondern auch noch eine für´s nicht an der Tafel vorrechnen können. Eine weitere, wenn ich nach dem Vorrechnen-Fail nicht vor der ganzen Klasse gesagt habe „Ich bin dumm und ich bin faul!“.

Damals, Mitte der 80er, war der Begriff Dyskalkulie noch kein Begriff und Lehrer durften noch viel mehr mit Schülern machen, was sie wollten, als heute. Schon damals fiel es mir unglaublich schwer, mit mathematischen Begriffen und Zahlen zu arbeiten, allein das merken der Fachbegriffe war für mich Höchstleistung. Als Lehrer sollte man vielleicht darüber stehen, aber entweder sollte mich das Vorgehen meines Lehrers mehr motivieren oder er wollte dadurch seine Verachtung an mir auslassen. (Nachdem ich in der 9. und 10. Klasse noch mal ein ähnliches Kaliber Lehrer hatte, bin ich mir ziemlich sicher, dass es Letzteres war.)

Irgendwann innerhalb der zwei Jahre, die ich bei Dr. Manz Mathe und Physik genießen durfte, hatte ich nur noch Hass für den Mann und die Fächer, die er unterrichtet hat übrig; mein Interesse, hier noch irgendwas zu tun, war bei Null.

Allein der Gedanke beim Aufstehen morgens, wieder Mathe oder Physik zu haben, vergrößerte die Abneigung, die ich gegen die Schule hatte.

Entspannter Schulweg

Dazu kam, dass wir (ein Freund, der aus dem gleichen Dorf kam und ich) jeden Morgen eine Dreiviertelstunde am Bahnhof warten mussten, bis endlich der Schulbus kam; eine andere Verbindung gab es nicht. An diesem Bahnhof warteten nicht nur wir, sondern auch ein ganzer Haufen Oberstufenschüler, die echt Spaß dran hatten, und zu bullyen. Schläge, Taschen wegnehmen und auskippen, im Winter mit dem Gesicht in Schneehaufen mit Hundepisse und -kacke gesteckt werden war normal.

Sie haben meinen Freund einmal in ein Bahnhofsschließfach eingesperrt und mir dann im zum-Bus- laufen den Schlüssel dafür hingeschmissen. Wir haben den Bus verpasst, mussten dann zu Fuß gehen (es gab tatsächlich nur den einen Bus zu der Schule), kamen natürlich viel zu spät.

Natürlich gabs von Lehrern eins aufs Dach, weil uns keiner geglaubt hat. Weder dieses Mal noch die anderen Male. Irgendwann haben wir aufgehört, etwas zu sagen. Selbst, als mich drei Leute auf dem Schulsportplatz verkloppt haben, ist nichts passiert.

Ich schreibe das jetzt nicht, weil ich Mitleid will. Ich möchte damit nur verdeutlichen, warum ich so eine Abneigung gegen die Institution „Schule“ entwickelt habe.

Erste Konsequenzen

Ich will nicht behaupten, ich wäre der tollste Schüler geworden, wäre nicht mein Mathelehrer gewesen. Sicherlich nicht.

Meine Stärken liegen, auch schon aus reinem Interesse, mehr im Bereich Sprachen und Geschichte. Aber wenn man erstmal den Einstieg in die Mathematik und Physik verpasst, wird´s schwer, das wieder aufzuholen.

Vor beiden Fächern hatte ich mittlerweile schon regelrechte Panik entwickelt. Der Unterricht bei meinem Mathelehrer war geprägt von Demütigungen. Ich erinnere mich, dass er einmal die Tür abgeschlossen hat, als ich zur Toilette musste, ich denke, das war in der 6. Klasse. Ich durfte nicht aufstehen und habs irgendwann nicht mehr halten können, So hatte dann die ganze Klasse auch noch ein wenig Spaß.

Nun, in der siebten Klasse kam auch Chemie dazu, Biologie, also, wenn auch kein Mathe, so doch Naturwissenschaften. Biologie funktionierte noch halbwegs, aber in Chemie stellte mein Gehirn auch schon auf Panikmodus., auch wenn die Lehrerin gut war und nicht im Ansatz so wie der Mathelehrer.
 
Meinen Mathehrer war ich in der 7. zwar auch schon los, aber ich verstand längst kein Wort mehr von dem, was im Unterricht passierte.
 
Die Arbeiten waren allesamt Fünfen und Sechsen, irgendwann war ich schon froh, wenn´s noch eine 5 geworden war.
 
Ich bekam Nachhilfe, und der Lehrer, bei dem ich die Nachhilfe hatte, war teilweise sichtlich überfordert mit meinen Weinanfällen.
Die bekam ich, weil mein Gehirn einfach nur noch im Panikmodus war und ich offenkundig „zu dumm und zu faul“ war.
 
Natürlich hatte ich auch viel Streit mit meinen Eltern damals, die mir, was den Lehrer anging kaum zugehört, und wenn, dann nicht geglaubt haben.
 
Wenn Elternsprechtage waren (immer Samstags), kam meine Mutter schon brüllend nach Hause und hat mich den ganzen Tag entweder angeschrien oder mit Nichtbeachtung gestraft. Meine Seite der Geschichte hat einfach nicht interessiert. War nicht wichtig und vermutlich gelogen. Lehrer haben immer recht.
 
Der Rest meiner Schulzeit war auch nicht prickelnd, ich bin einige Male sitzen geblieben, habe von Gymnasium auf Real, auf HH und wieder auf Gymnasium gewechselt, aber die Fünfen und Sechsen in Naturwissenschaften sind immer geblieben.
 
Weil ich sprachlich sehr begabt, nicht ganz blöd bin, habe ichs immerhin zu einer Fachhochschulreife gebracht.

Langfristige Konsequenzen

Die Lehrer und Schulen sind gekommen und gegangen, aber das „Ich bin zu dumm, ich bin zu faul“ ist geblieben.

Manchmal, so wie jetzt, sogar bis heute. Ich kriege diesen Dreck nicht aus dem Kopf, die Meltdowns in vermeintlichen „Krisensituationen“ nicht abgeschüttelt und ich habe massive Schwierigkeiten, zu differenzieren, ob etwas an mir oder nicht liegt (Der Dr. Manz in meinem Kopf schreit immer „JA! JA! DU BIST ZU DUMM UND ALLES IST DEINE SCHULD!“).

Und das ist auch nur der erste Teil dieser Spirale, die mir auch heute noch, wie in der letzten Woche, das Leben sehr schwer macht. Einmal klein angefangen, zieht sie ihre Kreise und wird immer größer.

Was mir heute noch am meisten zu schaffen macht, ist, dass es mir sehr schwer fällt, auf mein Urteil zu vertrauen und auf meine innere Stimme zu hören, obwohl sie im Nachhinein doch so oft Recht hat.

Mama, Papa, Kind und Kita

Mama und Papa müssen arbeiten, und das Glücksbaby geht in die Kita. Soweit, so einfach, mag man denken. Aber weit gefehlt. Ganz so leicht ist das nämlich nicht. Aber von Anfang an.

Mama ist schon wieder arbeiten, deshalb übernimmt der Papa die Eingewöhnung in die Kita. Eingewöhnung bedeutet, dass ein Elternteil das Kleine in die Kita begleitet. Anfangs nur eine Stunde, einfach um die Erzieher/innen und die anderen Kinder kennen zu lernen.

Das Baby sieht andere Kinder, macht bei Aktivitäten wie Singen und Spielen mit und kann sich, weil ja der Papa dabei ist, an die neue Umgebung und die ganzen vielen neuen Menschen ganz entspannt gewöhnen.

Ich mag das Wort „Erzieher“ nicht. Es erinnert mich an Regeln und Strafen, wenn etwas vom Kind „falsch“ gemacht wurde. Ich möchte mein Kind nicht „strafen“. Ich möchte mit ihm gemeinsam Lösungen für ein Verhalten finden, mit dem alle, inklusive dem Kind, glücklich sein können. Wenn ich etwas ablehne, dann Strafen beim Großziehen der Kleinen.

Er soll also dort nicht „erzogen“ werden. Ich möchte, dass er dort mit anderen Kindern gemeinsam (auf)wachsen und sich im Rahmen festgelegter Regeln bewegen kann. Regeln sind wichtig, aber das Weglassen von Strafen ist es auch.

Die Eingewöhnung

Das erste Mal war ich mit dem Kleinen da, als viel Singen und Spielen mit Tüchern auf dem Plan stand. Leider zu einer Zeit, in der Glücksbaby eigentlich sein Morgenschläfchen hielt. Die Tücher haben ihn, weil er müde war und sie noch nicht kannte, ganz schön erschreckt, aber das Singen und mit Rasseln spielen hat ihm trotzdem gut gefallen.

Die ersten beiden Male hatte ich Baby die ganze Zeit bei mir, beim dritten Mal haben wir dann auch eine Übergabe an eine Begleiterin erfolgreich versucht. Der Kleine ist sogar bei beiden Begleiterinnen auf dem Arm eingeschlafen. Für mich ein ziemlich gutes Zeichen, dass er sich dort wohl fühlt.

Nach zwei, drei Besuchen wurde die Besuchszeit erhöht, und wir haben mehrere Stunden am Stück in der Kita verbracht. Die Kontaktaufnahmen zu den anderen Kindern war noch recht verhalten, aber seine Hauptbezugsperson war ja auch noch immer da.

11 Monate Papa

Seit genau 11 Monaten haben wir ein kleines, tolles, wunderbares Ding neu in unserer Familie. Unser kleiner Sohn, unser kleines Glückskind, der sich gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt hat, und auf einmal, zwei Wochen zu früh, ganz plötzlich da war.

Ich muss zugeben, ich hatte vorher nie irgendwas großartig mit Kindern zu tun, und mir war das ganze Bohei um diese kleinen Dinger, die viel Arbeit machen, wenig Schlaf zulassen, ständig saubergemacht werden müssen, nichts alleine können und offensichlich viele graue Haare kosten, immer ein bisschen zu viel.

Leute setzen seit zigtausend Jahren Kinder in die Welt, warum sollte das was Besonderes sein?

Und doch, irgendwie… ich wollte ein eigenes, ziemlich spät, zugegeben. Aber doch.