Das Große Versagen und der Untergrund

In Zeiten, in denen Unsicherheit von denen verbreitet wird, die Sicherheit vermitteln sollen, in Zeiten, in denen man sich um die sorgt, die man liebt, in Zeiten, auf die einen niemand vorbereiten konnte, weil sie noch niemand erlebt hat, muss man Wege gehen, von denen man niemals gedacht hat, dass man sie gehen würde.

Wir leben nun leider in den Zeiten einer globalen Pandemie, die Krankenhäuser und Intensivstationen sind überfüllt, wichtige Operationen für schwer kranke Menschen werden verschoben oder ganz ausgesetzt. Menschen sterben. Viele Menschen sterben.

Im Moment sterben am Tag rund 400 Menschen an Covid-19, der Delta-Variante. Viele Menschen leiden unter Long Covid.

Das große Versagen der Politik

Die Politik hat nichts dagegen getan, dass viele Menschen sich aus Pflegeberufen zurückziehen. Nach der ersten Welle nicht, nach der zweiten Welle nicht, nach der dritten Welle nicht, und in der vierten – und bisher härtesten – Welle stehen wir da und haben 6000 Intensivbetten weniger als noch vor einem Jahr. Also – die Betten sind schon noch da, die Menschen, die dafür ausgebildet sind, an ihnen Kranke zu betreuen, sind es nicht mehr. Verständlicherweise.

(Die Politik lässt sich von Querdenkern (und der FDP) an der Nase durch die Manege ziehen.
Maßnahmen, die wirklich helfen würden, werden nicht durchgeführt, weil irgendwer immer irgendwo „FREIHEIT!!111 EINSCHRÄNKUNG DER GRUNDRECHTE!!“ schreit. Meistens sind das Rechte und/oder Schwurbler, zwischendurch mal ein Kubicki oder ein Lindner.
Leute, die lieber Pferdeentwurmungsmittel oder Bleiche fressen statt sich eine Impfung abzuholen. Leute, die sich radikalisieren, die zum Mord von Politikern aufrufen und mit Fackeln bewaffnet vor deren Häusern randalieren. Die Polizei hält sich dezent zurück.)

Die Delta-Variante wird sich aber in der kommenden Zeit verabschieden. Omikron ist da. Noch ansteckender als Delta. Gefährlicher? Das ist noch unbekannt.

Die Impfungen, auf die sich viele verlassen haben, verlieren ihre Wirkung. Die Wirksamkeit sinkt zwar nicht auf Null, aber reduziert sich auf ca. 50% – zumindest beim Biontec- und Moderna-Impfstoff. Wer Astra Zeneca oder Johnson + Johnson bekommen hat, steht deutlich schlechter da.

Das war von vornherein klar, das war bekannt – und es wurde von der Politik wie auch vielen Geimpften einfach ignoriert. Ebenso wie die Tatsache, dass man auch geimpft noch infiziert sein kann und das Virus auch weitergeben kann.

Die Inzidenzen haben jetzt ein Plateau erreicht.
Nicht, weil sich nicht mehr Menschen infizieren. Nein, die Inzidenzen klettern nicht mehr weiter, weil Gesundheitsämter nicht mehr hinterherkommen, alle Fälle zu melden.
Wir sind am Limit der Meldekapazität angekommen, die Infektionskurve wird dennoch weiter (exponentiell) steigen. Gerade, wenn sich Omikron weiter verbreitet.

Es ist nicht die Frage: „Infizieren wir uns?“ sondern
„Wann infizieren wir uns?“ und – „Bin ich geimpft oder nicht?“

Schwurbler behaupten, die Impfung wirke nicht, weil sich trotz Impfung Leute mit Corona auf Intensivstationen finden. Bullshit. Man kann sich, wie gesagt, dennoch infizieren, aber die Chance, einen milden Verlauf und weniger Risiko auf Long Covid zu haben, sind mit Impfung deutlich höher.

Der Wildtyp und die Delta-Variante waren für Kinder, je kleiner sie waren, statistisch gesehen, *relativ* ungefährlich. Omikron schmeißt das über den Haufen. In Ländern, in denen schon eine große Omikron-Verbreitung anzutreffen ist, sind auch deutlich mehr Kinder hospitalisiert und auf Intensivstationen.

Die Regierung macht falsch, was man nur falsch machen kann, die 2G/3G-Regelungen sind ein Witz, niemand kontrolliert das wirklich. Selbst getestet nur noch irgendwo rein zu können, ist ein Witz, da bei Geimpften die Schnelltests viel zu oft „Negativ“ anzeigen.

Derzeit ist alles noch geöffnet, Kinos, Restaurants, Geschäfte- aber nur für Leute, die die 2G-Regel erfüllen. Umgeimpft und getestet kommt man nirgends rein. Was ich persönlich auch für richtig erachte – meiner Meinung nach sollte für 3,4 Wochen niemand mehr irgendwo reinkommen und alle sollten geimpft sein. Das entlastet die Intensivstationen und es würden mehr Menschen überleben und weniger Menschen an den Folgen der Covid-Infektion leiden.

Aber: Das Einzige, was wirklich helfen würde, ist ein richtiger Lockdown.

Alles dicht. Keine Ausnahmen, außer für Lebensmittel, und vielleicht Tankstellen. Aber das ist leider nur meine Meinung.

Sicheres Glücksäffchen

Da die relevante Frage „Wann infizieren wir uns“ natürlich auch für kleine Kinder, wie unser Glücksäffchen gilt, ist die nächste logische Frage für mich „Möchte ich mein Kind komplett ohne Schutz infizieren lassen oder möchte ich ihm den bestmöglichen Schutz mitgeben, den wir haben?“.

Natürlich möchte ich meinem Kind den bestmöglichen Schutz geben, den wir haben.

Ich liebe mein Kind.

Ich möchte mein Kind nicht auf einer Intensivstation *nicht* besuchen können, während es dort allein, umgeben von Maschinen und Pflegern um sein Leben kämpft.

Kinderärzte impfen nicht.

Impfen nicht U12, impfen nicht U5, weil noch keine Empfehlung der Stiko vorliegt, obwohl mehr als ausreichend Daten aus Israel und den USA vorliegen, die belegen, dass es kaum Nebenwirkungen (außer den Üblichen; Arm tut weh, Erkältungssymptome für ein paar Tage) auch bei Kindern U12 / U5 gibt.

Die Kinder müssen aber trotzdem in Kitas, Kindergärten und Schulen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich infizieren. Die Politik scheißt drauf. Hauptsache, die Eltern können weiter zur Arbeit rennen. Kinder werden auf dem Altar der Erwerbstätigkeit geopfert.

Im Moment rauscht Delta durch die nichtgeimpften Altersgruppen wie ein heißes Messer durch Butter. Der Anteil an Hospitalisierungen bei Kindern und Jugendlichen klettert immer weiter in die Höhe.

Real Untergrund.

Also mussten wir eine Entscheidung treffen. Wir haben uns entschieden, nach einer Impfmöglichkeit für das Glücksäffchen zu suchen.

Und, nach einiger Zeit haben wir eine gefunden. Der Weg dahin war nicht leicht. Um den Schutz der U12 / U5 impfenden Ärzte zu gewährleisten, ist es schon ein bisschen, wie wenn man was Verbotenes tut.

Mit Screening, ob man kein Schwurbler ist. Kein Querdenker.

Daten dürfen nicht weitergegeben werden, Identitäten sollen nur einem kleinen Kreis bekannt bleiben. Weil Querdenker zum Mord von impfenden Ärzten aufrufen und sie mit Morddrohungen überhäufen.

Gestern waren wir unterwegs, das Glücksäffchen impfen lassen. Wir waren von morgens bis spät abends mit dem Kleinen unterwegs. Für einen kleinen Piks, der selbstversändlich für alle Kids sein sollte, weil er einen so großen Unterschied macht.

(Der Kleine hat den Piks übrigens super überstanden.)

Mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, weil ich weiß, dass unser Junges jetzt schon ein bisschen sicherer ist. Gleichzeitig fühlte ich mich, als wäre ich ein Krimineller, der etwas Verbotenes tut. Real Untergrund. Und das sollte nicht so sein, wenn man nur sein Kind schützen möchte. Das ist nicht richtig.

Aber wir wissen jetzt, dass das Glücksäffchen sicherer ist, und das ist mir das alles wert.

Geschichte – Mehr als nur Jahreszahlen.

Geschichte ist eines der wichtigsten und interessantesten Themengebiete, die ich mir vorstellen kann. Geschichte ist so viel mehr als dröge Jahreszahlen.

Geschichte, das sind Ereignisse und Personen, Entscheidungen, Krieg und Frieden, Katastrophen und Erfindungen, Verrat und Intrigen, aber auch Zusammenhalt und Gemeinschaft. Ein Strom der Entwicklung, der uns dahin geführt haben, wo wir jetzt sind.

Ich habe das stumpfe Jahreszahlen-Auswendiglernen, was manche Geschichtslehrer praktizieren, im Geschichtsunterricht nie verstanden. In „Geschichte“ geht es um Menschen, um Ursachen und Wirkungen, im Großen wie im Kleinen.

Entscheidungen und Ereignisse, die vor hunderten oder tausenden von Jahren stattfanden, haben Auswirkungen auf unser heutiges Leben, auf unser Denken, unser Handeln und unsere Welt. Ohne zu wissen, warum Dinge sind, wie sie sind, können wir gemachte Fehler nur wiederholen.

Es gibt prägnante Vorkommnisse, die in kurzer Zeit die ganze Welt umkrempeln können. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben unser aller Leben drastisch verändert. Die Anschläge waren Auslöser der Kriege im Irak und Afghanistan. Durch die Kriege haben hunderttausende Menschen ihr Leben verloren, die gesamte Nahost-Region ist zum instabilen Pulverfass geworden, der globale Terrorismus wächst, ebenso wie die Überwachung eines jeden Einzelnen, Millionen Menschen sind auf der Flucht und in Europa erwacht das Gesicht des Faschismus wieder zu neuem Leben.

Ich sehe eine kausale Kette, die vielleicht nicht ganz rund, aber für den, der sehen will, deutlich ist. Natürlich hat Bush 2003 nicht geahnt, welchen Flächenbrand er mit den Präventivkriegen und seinen an den Haaren herbeigezogenen „WMD“-Anschuldigungen entfachen würde. Die Auswirkungen sind dennoch umso deutlicher.

Überspitzt können man sagen, dass Bin Laden Schuld an der AfD ist.

Geschichte ist persönlich.

Mein Opa, der Marinesoldat im Krieg war, und meine Oma, die ihre Kindheit in Hannover während der Bombardierungen verbracht hat, haben mir schon von kleinauf viel aus der NS-Zeit und ihren Erlebnissen in den Kriegsjahren erzählt.

Ich habe mir, trotz der ausführlichen Erzählungen damals, kaum das Außmaß der Grausamkeiten und des Schreckens vorstellen können, die meine Großeltern erlebt haben.

Gerade jetzt, beim Schreiben, fallen mir viele Dinge wieder ein. Wie etwa die „Feuerstürme“, von denen meine Oma berichtet hat. Diese Feuerstürme rasten nach den Bombardierungen durch die Straßen von Städten und verbrannten Menschen bei lebendigem Leib zu Asche. Meine Oma hat als kleines Mädchen so ihre Nachbarn vorgefunden, nachdem ihr Haus ausgebombt wurde.

Sie sah KZ-Züge am hannoveraner Bahnhof, die dort tagelang standen und aus denen die Menschen darin nach Wasser und Essen, vor Angst und Schrecken geschrien haben. Sie sagte, alle haben gewusst was da passiert. Wer in den Zügen ist. Keiner hat etwas getan.

Mein Opa war als Junge in der Hitlerjugend, und war, wie er selbst sagte, begeistert dabei. Er war sogar Jugendführer seiner Ortsgruppe und ganz stolz darauf, dass Hitler auf dem Weg zum Erntedankfest in seinem Dorf an der B1 angehalten hat und er mit seiner Gruppe vor Hitler strammstehen durfte.

Als er alt genug war (ich meine, ´41) hat er sich freiwillig zur Marine gemeldet, wollte U-Boot-Fahrer werden. Die U-Boot-Fahrer wurden damals zu Helden stilisiert, und das hat auch bei ihm gegriffen.

Glücklicherweise klappte das aus medizinischen Gründen nicht, und so wurde er auf einem Minensuchboot als Funker eingesetzt. Er hat auch an mehreren Gefechten teilgenommen („Wenn Du siehst, wie auf dem Deck vor dir einem Freund der Arsch weggeschossen wird, fängst Du an, Dich zu fragen, was das alles soll.“).

Gegen Ende des Krieges war er für mehrere Jahre in US-Kriegsgefangenschaft. Er war danach mit Politik durch – nicht, dass er sich nicht dafür interessiert hat. Das hat er – und das hat er mir weitergegeben. Dafür bin ich ihm auch für immer sehr dankbar. Für ihn waren nach dem Krieg nur alle Politiker nicht mehr als Verbrecher. Vor allem Strauß, von dem er sagte, dass er „genauso einen Scheißdreck redet wie der Hitler“.

Die einzige Partei, die er – zumindest bis Schmidt – noch akzeptiert hat, war die SPD.

So vorgebildet konnte und kann ich gar nicht anders, als zumindest „gegen Rechts“ zu sein. Meine Eltern und Großeltern haben mich sehr humanistisch und aufgeklärt großgezogen, und von meinen Großeltern (und einem sehr guten Geschichtslehrer) habe ich meine Liebe und mein Interesse für Politik – und damit auch für Geschichte.

Dadurch, dass sie über ihre Erlebnisse gesprochen haben, haben sie scheinbar sehr viel mehr richtig gemacht als die, die geschwiegen haben. Dafür bin ich ihnen für immer dankbar und hoffe, dass ich das auch an meine Kinder weitergeben kann.

Bei dem Großen hat´s scheinbar schon funktioniert.

#Baseballschlägerjahre 2

Oder: Ein Discobesuch mit Überraschungscharakter.

Es muss der Winter ´92/ ´93 gewesen sein, wir hatten noch keine Führerscheine und kein Auto, um der Langeweile des Dorfes zu entfliehen, und uns war uns so ziemlich jedes Mittel dazu recht. So fuhren wir eines lauschigen Winterabends auf der Mofa meines guten Freundes Andreas Richtung nächstgelegener Disco.
Natürlich ohne dass unsere Eltern davon wussten und auf seiner Mofa, weil ich keine eigene hatte.

Zu zweit auf Mofa ist ja nicht erlaubt, und – natürlich – wie sollte es anders sein, erwischte uns ungefähr einen Kilometer vorm Zielort eine Polizeistreife. Ich konnte mich noch auf einem Bauhof unter einem Bauwagen verstecken, und glücklicherweise hat mich der Polizist, der mit der Taschenlampe den Bauhof absuchte, nicht gefunden. Ich glaube, ich hatte selten in meinem Leben bis dahin solche Angst. Dass er mich nicht gefunden hatte, war gut. Was jedoch nicht so gut war, war, dass sie das Mofa am Bahnhof angeschlossen haben, damit mein Kumpel es sich am nächsten Tag wiederholen konnte.

So standen wir 20 Kilometer von zu Hause entfernt in der Pampa, und mussten zusehen, wie wir nach Hause kommen. ÖPNV war damals schon lächerlich auf dem Land – und auf einem Samstagabend nach 22.00 in einer Kleinstadt? Nope. Kein Bus, kein Zug, nichts. Nichts zu machen, kein Weg nach Hause.

In unserer Zieldisco war niemand, den wir kannten, und so machten wir uns zu Fuß auf zur Nächsten, die knapp 6,7 Kilometer entfernt war.

Auf dem Weg hielt auf einmal ein Autokorso neben uns; einer der Fahrer war der drei oder vier Jahre ältere Bruder meines Freundes. Die Autos, es waren mindestens 3, waren vollgepackt mit seinen „Freunden“. Seine „Freunde“ waren die Glatzen aus mehreren Nachbarkäffern und die Autos voll besetzt. (Ich setze Freunde hier in Anführungszeichen, weil die Typen nur mit ihm wegen seines Wagens abhingen. Sonst hatte Dietmar keine Freunde.)

Die Autos waren zwar voll, aber Dietmar konnte seinen kleinen Bruder nicht alleine mitten in der Pampa stehen lassen. Also quetschten wir uns also auf den Schoß des Beifahrernazis, der das gar nicht so geil fand. Vor allem nicht, weil ich, weil´s, wie gesagt, Winter war, und ich mein verdächtiges Pali umhatte. Die Jungs in den Autos waren schon über den „leicht angesoffen“-Pegel hinaus und die Stimmung war gut, aber ich merkte auch, dass eine Kleinigkeit ausreichen würde, das Ganze sehr schnell eskalieren zu lassen.

Auf dem Weg zur Zieldisse erfuhren wir dann auch, warum die Jungs zu so später Stunde noch mit ihren Sportgeräten (Baseballschlägerjahre, remember?) unterwegs waren.

Jedes Auto hatte mehrere Baseballschläger dabei, weil irgendwo irgendwas mit Punks sein sollten.

Vor der Zieldisse angekommen, drehte der Fascho, auf dessen Knien wir saßen, auf einmal völlig durch, brüllte uns an, dass wir ihn rauslassen sollten, kriegte die Beifahrertür auf, schubste uns raus und rannte weg. Dachte ich zuerst. Bis er dann 50, 100m die Straße runter einem Typen (ich glaub, ein Punk) aus vollem Lauf in den Rücken sprang und als dieser zu Boden ging, noch ein paarmal rein trat.

Andreas und ich standen neben dem Auto und wussten nicht, was genau da grade passiert, sowas hatten wir beide noch nicht erlebt.

Die Typen in den anderen Autos feierten die Aktion lautstark, „unser“ Fascho kam zurückgerannt, sprang ins Auto und weg waren sie. Wir haben den (Punk-?)Typen noch auf dem Boden liegen gesehen, hatten aber auch Angst, dass irgendwer mitbekommen hatte, dass wir aus dem Fascho-Autokorso „ausgestiegen“ waren.
Ich kann mich erinnern, dass wir uns nur kurz angesehen und dann zugesehen haben, dass wir da wegkamen.

Zugegeben. Das war sicherlich nicht die beste Wahl. Aber zum einen waren wir froh, aus den Faschoautos raus zu sein, ohne dass uns was passiert war. Zum anderen wollten wir auch nicht unbedingt den Freunden von dem Typ über den Weg laufen und waren völlig überfordert mit der Situation und der sinnlosen Brutalität.

Was mir auch heute noch einen Schauer über den Rücken jagt, ist, dass der „Beifahrerfascho“ jemand war, den ich schon seit Jahren kannte. Ich habe mit dem jahrelang Fußball gespielt. Auch aus den anderen Autos kannte ich ein paar Leute. Nicht gut, zugegeben. Aber auf kleinen Dörfern kennt man jeden in seiner Altersgruppe.

Diese Abgründe, mit denen ich mich auch heute noch auseinandersetze und sehe, dass die Grenzen zur Brutalität und Unzivilisiertheit sehr dünn sind, erschrecken mich und ich habe Angst vor dem, was politisch gerade passiert.

„Es waren nicht Hitler oder Himmler, die mich verschleppt, geschlagen und meine Familie erschossen haben. Es waren der Schuster, der Milchmann, der Nachbar, die eine Uniform bekamen und dann glaubten, sie seien die Herrenrasse.“

Karel Stoika, Auschwitzüberlebender

#Baseballschlägerjahre 1

Auf Twitter geht gerade der Hashtag #Baseballschlägerjahre herum, und dieser Hashtag macht erschreckt mich ebenso, wie er mich an die Jahre ´92, ´93 erinnert. Die „Schrei nach Liebe“-Jahre, kurz nach der Wende. Die Jahre, in denen ich das erste Mal bewusst mit Faschos, Rechten und Neonazis zu tun hatte.

Ich war damals 15, 16 Jahre, auf dem Dorf in der niedersächsischen Provinz, wo nie was los war, und man jeden anderen Jugendlichen beim Namen kannte und höchstwahrscheinlich auch mit vielen in irgendeinem Verein zusammen war, sei es der Fußballverein, der Schützenverein oder die freiwillige Feuerwehr.

Damals war der Amiga der heiße Shit und, wie alle anderen Jugendlichen auch, hab ich Spiele getauscht. Einer meiner Kollegen, mit denen ich Spiele tauschte, Daniel, der von seinem Stiefvater geschlagen wurde und stotterte, war mein erster Berührungspunkt mit dem, was man wohl heutzutage „Rechtsrock“ nennen würde. Daniel hatte von irgendwo eine Kassette mit Störkraft, den Onkelz und Endstufe aufgetrieben und hörte das durchgehend, während wir bei ihm abhingen und zockten. Zwischendurch liefen auch mal die Hosen und der Deutschpunk- Sampler „Festival der Volxmusik“, sogar die Die Ärzte. Hauptsählich aber das Störkraft-Onkelz-Endstufe-Tape.

Ich erinnere mich, dass ich dieses Rechtsrockgeschrammel fürchterlich fand; musikalisch dilletantisch und eigentlich auch kaum verständlich, was da gesungen wurde. Sogar mit 16 und ziemlich deutschpunkaffin (und politisch recht … unbedarft) war mir das zu schlecht – und Deutschpunk ist definitiv nicht eine der qualitativ anspruchsvollsten Musikstile.

Ich hatte damals weder großartige politische Ahnung, noch habe ich verstanden, warum Daniel das gehört hat und auf einmal ein Problem mit Ausländern hatte; wir hingen damals auch mit den Kindern von potugiesischen Gastarbeitern ab, und das war nie ein Problem. Irgendwann hatte Daniel andere Freunde, Freunde, die Autos hatten, um aus dem langweiligen Dreckskaff am Wochenende rauszukommen. Freunde ohne Haare, mit Rangers, hochgekrempelten Domestoshosen und Bomberjacken.

Der Kontakt zu Daniel brach immer mehr ab, und ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen. Das letzte, was ich von ihm gehört habe, war, dass er tief in die rechte Szene abgerutscht ist, in einer WG mit lauter anderen Nazis wohnt und den ganzen Tag säuft und kifft, während sich die blauen Müllsäcke in der ganzen Bude stapeln.

„Lustigerweise“ habe ich das von einer Bekannten erfahren, bei der ich mich nach einem gemeinsamen Kollegen aus der Schulzeit erkundigt habe. Michael. Ein ruhiger, leicht introvertierter, aber wirklich netter Typ mit Vorliebe für Skid Row.

Michael hatte das „Glück“, in einem Nachbardorf zu leben, in dem die komplette Jugendlichen-Riege aus Faschos bestand, vielen von denen ist man, wenn man ihnen über den Weg gelaufen ist, aus dem Weg gegangen. Insgesamt vielleicht 15, 20 Leute, alle mit 80er-Enduros, davon ein harter Kern von 6,8 Typen, die nicht erst nach Problemen gefragt, sondern gleich losgeprügelt haben.

Ich hab keine Ahnung, was passiert ist, aber ich vermute, dass Michael oft genug auf die Mütze bekommen hat, bis er auch der Meinung war, dass Rechts sein der richtige Weg ist. Vermutlich aber der Weg, der einen nicht des Öfteren ins Krankenhaus oder die Geschlossene bringt.

Es gab bei uns mehrere solcher Dörfer, aber seins war im Grunde genommen eine No-Go-Zone für alle, die nicht auch mit Glatze und Bomberjacke durch die Gegend gelaufen sind. Und selbst unter denen gab´s noch genug Leute, die sich untereinander nicht leiden konnten.

Auch Michael habe ich nach der Realschule nie wieder gesehen, und ich hoffe für Daniel und Michael, dass sie´s geschafft haben, aus diesen Kreisen wieder rauszukommen.