Letzte Woche hatte ich einen Breakdown.
Im Grunde ging´s um nichts wirklich Schlimmes. Ich arbeite in der Softwareentwicklung, habe jetzt mehrere Monate an einem speziellen Teilbereich eines Projekts gesessen und dieser Teilbereich wurde zum ersten Mal für´s Team veröffentlicht.
Innerhalb von kurzer Zeit kamen 10, 20, 30, 50 Issues rein, von allen Seiten. Ein Ticket nach dem anderen wurde geöffnet, und mit jedem Ticket stieg mein Stresslevel. Ich konnte kaum noch lesen, oder verstehen, was da stand. Mein Gehirn schaltete komplett ab, ich war komplett im Panikmodus.
Das Gefühl, komplett unfähig zu sein, den falschen Job zu haben, besser irgendwas zu machen, was einen IQ auf ungefähr der Ebene einer halbwegs intelligenten Ziege erfordert, ging durch meinen Kopf. Und das war das Einzige.
Tunnelblick, Wut auf mich selbst und eine gehörige Portion Selbstverachtung können einem schon ein bisschen den Tag versauen.
Das alles liegt natürlich nicht an meinem Job, nicht an meiner Firma, und schon gar nicht an meinen Kollegen. Das ist wirklich alles super. Ich war, glaube ich, noch nie in einer Firma und Kollegen mit so viel Verständnis, Toleranz und Support.
Dieser Dreck kommt direkt aus meinem Kopf. Aus meiner eigenen Vergangenheit. Und es fällt mir so unglaublich schwer, damit fertig zu werden, das Kapitel „Du bist nicht gut genug, du bist zu dumm, du bist zu faul“ dahin zu verbannen, wo es hingehört: ins Nichts. Es fällt mir unglaublich schwer, darüber zu sprechen, vor allem, das zu kommunizieren, wenn ich gerade wieder im Meltdown bin; also dann, wenn es am nötigsten wäre.
Das Problem ist auch nicht, dass ich nicht wüsste, woher das kommt.
Die Wurzeln des Übels
Ich weiß genau, wo das herkommt. Sowas passiert, wenn man als Eltern seinen Kindern nicht zuhört. Wenn man alles glaubt, was Personen wie Lehrer über das Kind sagen. Nur das Kind nicht anhört, wenn es etwas zu sagen hat. Oder, wenn man mal zuhört, dem Kind nicht glaubt. Die Schuld für alles, was passiert, dem Kind gibt, aber niemals jemand anderem. Und die Schuld auch immer als erstes beim Kind sucht.
Der "erste" Mathelehrer und ich
In der 5. und 6. Klasse hatte ich einen Lehrer in Mathe und Physik, der mich, wenn ich die Hausaufgaben nicht hatte, weil ich sie nicht konnte, an die Tafel gestellt hat, wo ich dann die Aufgabe, die ich schon zu Hause nicht konnte, vor der ganzen Klasse rechnen sollte. Konnte ich das nicht (wie auch, mit dem Druck, dass die ganze Klasse einem zusieht, wie man etwas nicht kann), gab´s nicht nur eine mündliche 6 für die nicht gemachten Aufgaben, sondern auch noch eine für´s nicht an der Tafel vorrechnen können. Eine weitere, wenn ich nach dem Vorrechnen-Fail nicht vor der ganzen Klasse gesagt habe „Ich bin dumm und ich bin faul!“.
Damals, Mitte der 80er, war der Begriff Dyskalkulie noch kein Begriff und Lehrer durften noch viel mehr mit Schülern machen, was sie wollten, als heute. Schon damals fiel es mir unglaublich schwer, mit mathematischen Begriffen und Zahlen zu arbeiten, allein das merken der Fachbegriffe war für mich Höchstleistung. Als Lehrer sollte man vielleicht darüber stehen, aber entweder sollte mich das Vorgehen meines Lehrers mehr motivieren oder er wollte dadurch seine Verachtung an mir auslassen. (Nachdem ich in der 9. und 10. Klasse noch mal ein ähnliches Kaliber Lehrer hatte, bin ich mir ziemlich sicher, dass es Letzteres war.)
Irgendwann innerhalb der zwei Jahre, die ich bei Dr. Manz Mathe und Physik genießen durfte, hatte ich nur noch Hass für den Mann und die Fächer, die er unterrichtet hat übrig; mein Interesse, hier noch irgendwas zu tun, war bei Null.
Allein der Gedanke beim Aufstehen morgens, wieder Mathe oder Physik zu haben, vergrößerte die Abneigung, die ich gegen die Schule hatte.
Entspannter Schulweg
Dazu kam, dass wir (ein Freund, der aus dem gleichen Dorf kam und ich) jeden Morgen eine Dreiviertelstunde am Bahnhof warten mussten, bis endlich der Schulbus kam; eine andere Verbindung gab es nicht. An diesem Bahnhof warteten nicht nur wir, sondern auch ein ganzer Haufen Oberstufenschüler, die echt Spaß dran hatten, und zu bullyen. Schläge, Taschen wegnehmen und auskippen, im Winter mit dem Gesicht in Schneehaufen mit Hundepisse und -kacke gesteckt werden war normal.
Sie haben meinen Freund einmal in ein Bahnhofsschließfach eingesperrt und mir dann im zum-Bus- laufen den Schlüssel dafür hingeschmissen. Wir haben den Bus verpasst, mussten dann zu Fuß gehen (es gab tatsächlich nur den einen Bus zu der Schule), kamen natürlich viel zu spät.
Natürlich gabs von Lehrern eins aufs Dach, weil uns keiner geglaubt hat. Weder dieses Mal noch die anderen Male. Irgendwann haben wir aufgehört, etwas zu sagen. Selbst, als mich drei Leute auf dem Schulsportplatz verkloppt haben, ist nichts passiert.
Ich schreibe das jetzt nicht, weil ich Mitleid will. Ich möchte damit nur verdeutlichen, warum ich so eine Abneigung gegen die Institution „Schule“ entwickelt habe.
Erste Konsequenzen
Meine Stärken liegen, auch schon aus reinem Interesse, mehr im Bereich Sprachen und Geschichte. Aber wenn man erstmal den Einstieg in die Mathematik und Physik verpasst, wird´s schwer, das wieder aufzuholen.
Vor beiden Fächern hatte ich mittlerweile schon regelrechte Panik entwickelt. Der Unterricht bei meinem Mathelehrer war geprägt von Demütigungen. Ich erinnere mich, dass er einmal die Tür abgeschlossen hat, als ich zur Toilette musste, ich denke, das war in der 6. Klasse. Ich durfte nicht aufstehen und habs irgendwann nicht mehr halten können, So hatte dann die ganze Klasse auch noch ein wenig Spaß.
Die bekam ich, weil mein Gehirn einfach nur noch im Panikmodus war und ich offenkundig „zu dumm und zu faul“ war.
Langfristige Konsequenzen
Die Lehrer und Schulen sind gekommen und gegangen, aber das „Ich bin zu dumm, ich bin zu faul“ ist geblieben.
Manchmal, so wie jetzt, sogar bis heute. Ich kriege diesen Dreck nicht aus dem Kopf, die Meltdowns in vermeintlichen „Krisensituationen“ nicht abgeschüttelt und ich habe massive Schwierigkeiten, zu differenzieren, ob etwas an mir oder nicht liegt (Der Dr. Manz in meinem Kopf schreit immer „JA! JA! DU BIST ZU DUMM UND ALLES IST DEINE SCHULD!“).
Und das ist auch nur der erste Teil dieser Spirale, die mir auch heute noch, wie in der letzten Woche, das Leben sehr schwer macht. Einmal klein angefangen, zieht sie ihre Kreise und wird immer größer.
Was mir heute noch am meisten zu schaffen macht, ist, dass es mir sehr schwer fällt, auf mein Urteil zu vertrauen und auf meine innere Stimme zu hören, obwohl sie im Nachhinein doch so oft Recht hat.