Ursachen und Konsequenzen

Letzte Woche hatte ich einen Breakdown.

Im Grunde ging´s um nichts wirklich Schlimmes. Ich arbeite in der Softwareentwicklung, habe jetzt mehrere Monate an einem speziellen Teilbereich eines Projekts gesessen und dieser Teilbereich wurde zum ersten Mal für´s Team veröffentlicht.

Innerhalb von kurzer Zeit kamen 10, 20, 30, 50 Issues rein, von allen Seiten. Ein Ticket nach dem anderen wurde geöffnet, und mit jedem Ticket stieg mein Stresslevel. Ich konnte kaum noch lesen, oder verstehen, was da stand. Mein Gehirn schaltete komplett ab, ich war komplett im Panikmodus.

Das Gefühl, komplett unfähig zu sein, den falschen Job zu haben, besser irgendwas zu machen, was einen IQ auf ungefähr der Ebene einer halbwegs intelligenten Ziege erfordert, ging durch meinen Kopf. Und das war das Einzige.

Tunnelblick, Wut auf mich selbst und eine gehörige Portion Selbstverachtung können einem schon ein bisschen den Tag versauen.

Das alles liegt natürlich nicht an meinem Job, nicht an meiner Firma, und schon gar nicht an meinen Kollegen. Das ist wirklich alles super. Ich war, glaube ich, noch nie in einer Firma und Kollegen mit so viel Verständnis, Toleranz und Support.

Dieser Dreck kommt direkt aus meinem Kopf. Aus meiner eigenen Vergangenheit. Und es fällt mir so unglaublich schwer, damit fertig zu werden, das Kapitel „Du bist nicht gut genug, du bist zu dumm, du bist zu faul“ dahin zu verbannen, wo es hingehört: ins Nichts. Es fällt mir unglaublich schwer, darüber zu sprechen, vor allem, das zu kommunizieren, wenn ich gerade wieder im Meltdown bin; also dann, wenn es am nötigsten wäre.

Das Problem ist auch nicht, dass ich nicht wüsste, woher das kommt.

Die Wurzeln des Übels

Ich weiß genau, wo das herkommt. Sowas passiert, wenn man als Eltern seinen Kindern nicht zuhört. Wenn man alles glaubt, was Personen wie Lehrer über das Kind sagen. Nur das Kind nicht anhört, wenn es etwas zu sagen hat. Oder, wenn man mal zuhört, dem Kind nicht glaubt. Die Schuld für alles, was passiert, dem Kind gibt, aber niemals jemand anderem. Und die Schuld auch immer als erstes beim Kind sucht.

 

 

Der "erste" Mathelehrer und ich

In der 5. und 6. Klasse hatte ich einen Lehrer in Mathe und Physik, der mich, wenn ich die Hausaufgaben nicht hatte, weil ich sie nicht konnte, an die Tafel gestellt hat, wo ich dann die Aufgabe, die ich schon zu Hause nicht konnte, vor der ganzen Klasse rechnen sollte. Konnte ich das nicht (wie auch, mit dem Druck, dass die ganze Klasse einem zusieht, wie man etwas nicht kann), gab´s nicht nur eine mündliche 6 für die nicht gemachten Aufgaben, sondern auch noch eine für´s nicht an der Tafel vorrechnen können. Eine weitere, wenn ich nach dem Vorrechnen-Fail nicht vor der ganzen Klasse gesagt habe „Ich bin dumm und ich bin faul!“.

Damals, Mitte der 80er, war der Begriff Dyskalkulie noch kein Begriff und Lehrer durften noch viel mehr mit Schülern machen, was sie wollten, als heute. Schon damals fiel es mir unglaublich schwer, mit mathematischen Begriffen und Zahlen zu arbeiten, allein das merken der Fachbegriffe war für mich Höchstleistung. Als Lehrer sollte man vielleicht darüber stehen, aber entweder sollte mich das Vorgehen meines Lehrers mehr motivieren oder er wollte dadurch seine Verachtung an mir auslassen. (Nachdem ich in der 9. und 10. Klasse noch mal ein ähnliches Kaliber Lehrer hatte, bin ich mir ziemlich sicher, dass es Letzteres war.)

Irgendwann innerhalb der zwei Jahre, die ich bei Dr. Manz Mathe und Physik genießen durfte, hatte ich nur noch Hass für den Mann und die Fächer, die er unterrichtet hat übrig; mein Interesse, hier noch irgendwas zu tun, war bei Null.

Allein der Gedanke beim Aufstehen morgens, wieder Mathe oder Physik zu haben, vergrößerte die Abneigung, die ich gegen die Schule hatte.

Entspannter Schulweg

Dazu kam, dass wir (ein Freund, der aus dem gleichen Dorf kam und ich) jeden Morgen eine Dreiviertelstunde am Bahnhof warten mussten, bis endlich der Schulbus kam; eine andere Verbindung gab es nicht. An diesem Bahnhof warteten nicht nur wir, sondern auch ein ganzer Haufen Oberstufenschüler, die echt Spaß dran hatten, und zu bullyen. Schläge, Taschen wegnehmen und auskippen, im Winter mit dem Gesicht in Schneehaufen mit Hundepisse und -kacke gesteckt werden war normal.

Sie haben meinen Freund einmal in ein Bahnhofsschließfach eingesperrt und mir dann im zum-Bus- laufen den Schlüssel dafür hingeschmissen. Wir haben den Bus verpasst, mussten dann zu Fuß gehen (es gab tatsächlich nur den einen Bus zu der Schule), kamen natürlich viel zu spät.

Natürlich gabs von Lehrern eins aufs Dach, weil uns keiner geglaubt hat. Weder dieses Mal noch die anderen Male. Irgendwann haben wir aufgehört, etwas zu sagen. Selbst, als mich drei Leute auf dem Schulsportplatz verkloppt haben, ist nichts passiert.

Ich schreibe das jetzt nicht, weil ich Mitleid will. Ich möchte damit nur verdeutlichen, warum ich so eine Abneigung gegen die Institution „Schule“ entwickelt habe.

Erste Konsequenzen

Ich will nicht behaupten, ich wäre der tollste Schüler geworden, wäre nicht mein Mathelehrer gewesen. Sicherlich nicht.

Meine Stärken liegen, auch schon aus reinem Interesse, mehr im Bereich Sprachen und Geschichte. Aber wenn man erstmal den Einstieg in die Mathematik und Physik verpasst, wird´s schwer, das wieder aufzuholen.

Vor beiden Fächern hatte ich mittlerweile schon regelrechte Panik entwickelt. Der Unterricht bei meinem Mathelehrer war geprägt von Demütigungen. Ich erinnere mich, dass er einmal die Tür abgeschlossen hat, als ich zur Toilette musste, ich denke, das war in der 6. Klasse. Ich durfte nicht aufstehen und habs irgendwann nicht mehr halten können, So hatte dann die ganze Klasse auch noch ein wenig Spaß.

Nun, in der siebten Klasse kam auch Chemie dazu, Biologie, also, wenn auch kein Mathe, so doch Naturwissenschaften. Biologie funktionierte noch halbwegs, aber in Chemie stellte mein Gehirn auch schon auf Panikmodus., auch wenn die Lehrerin gut war und nicht im Ansatz so wie der Mathelehrer.
 
Meinen Mathehrer war ich in der 7. zwar auch schon los, aber ich verstand längst kein Wort mehr von dem, was im Unterricht passierte.
 
Die Arbeiten waren allesamt Fünfen und Sechsen, irgendwann war ich schon froh, wenn´s noch eine 5 geworden war.
 
Ich bekam Nachhilfe, und der Lehrer, bei dem ich die Nachhilfe hatte, war teilweise sichtlich überfordert mit meinen Weinanfällen.
Die bekam ich, weil mein Gehirn einfach nur noch im Panikmodus war und ich offenkundig „zu dumm und zu faul“ war.
 
Natürlich hatte ich auch viel Streit mit meinen Eltern damals, die mir, was den Lehrer anging kaum zugehört, und wenn, dann nicht geglaubt haben.
 
Wenn Elternsprechtage waren (immer Samstags), kam meine Mutter schon brüllend nach Hause und hat mich den ganzen Tag entweder angeschrien oder mit Nichtbeachtung gestraft. Meine Seite der Geschichte hat einfach nicht interessiert. War nicht wichtig und vermutlich gelogen. Lehrer haben immer recht.
 
Der Rest meiner Schulzeit war auch nicht prickelnd, ich bin einige Male sitzen geblieben, habe von Gymnasium auf Real, auf HH und wieder auf Gymnasium gewechselt, aber die Fünfen und Sechsen in Naturwissenschaften sind immer geblieben.
 
Weil ich sprachlich sehr begabt, nicht ganz blöd bin, habe ichs immerhin zu einer Fachhochschulreife gebracht.

Langfristige Konsequenzen

Die Lehrer und Schulen sind gekommen und gegangen, aber das „Ich bin zu dumm, ich bin zu faul“ ist geblieben.

Manchmal, so wie jetzt, sogar bis heute. Ich kriege diesen Dreck nicht aus dem Kopf, die Meltdowns in vermeintlichen „Krisensituationen“ nicht abgeschüttelt und ich habe massive Schwierigkeiten, zu differenzieren, ob etwas an mir oder nicht liegt (Der Dr. Manz in meinem Kopf schreit immer „JA! JA! DU BIST ZU DUMM UND ALLES IST DEINE SCHULD!“).

Und das ist auch nur der erste Teil dieser Spirale, die mir auch heute noch, wie in der letzten Woche, das Leben sehr schwer macht. Einmal klein angefangen, zieht sie ihre Kreise und wird immer größer.

Was mir heute noch am meisten zu schaffen macht, ist, dass es mir sehr schwer fällt, auf mein Urteil zu vertrauen und auf meine innere Stimme zu hören, obwohl sie im Nachhinein doch so oft Recht hat.

Changes come

Boxing

Corona hat vieles verändert. Für so ziemlich jeden. Das ganze Jahr ist komplett anders gelaufen, als es sich irgendjemand hätte ausmalen können. Und – wir in Deutschland sind ja noch mehr oder weniger mit einem Kratzer und ein paar Schrammen davon gekommen.

Auch für uns war das Jahr hart. Beide im Homeoffice, mit Kleinkind und Fulltime-Job ist kein Kindergeburtstag. Wir sind schon auf dem Zahnfleisch gegangen, und ich mag mir nicht vorstellen, wie das für Menschen war, die keine Möglichkeit zum Homeoffice hatten.

Wahnsinn.
Aber das ist nicht das, worum es mir heute geht.

Heute möchte ich über etwas schreiben, was für mich bis vor- und auch mitten im Lockdown kaum denkbar war.

Aber dazu möchte ich ein wenig ausholen.

Vor etwas mehr als vier Jahren habe ich angefangen, zu boxen. Ich hatte vorher Fußball gespielt, und suchte einen anderen Sport, weil mir beim Fußball einfach zu viel getrunken wurde (ja, was willste erwarten, Fußball im Pott, schon klar) und weil ich keine Lust mehr hatte, mich in der Alte Herren-Mannschaft ständig von irgendwelchen Idioten, die vermutlich dachten, es geht um die Weltmeisterschaft, umtreten zu lassen.
Also habe ich überlegt, was ich stattdessen machen könnte – ich wollte zumindest zweimal die Woche richtig hartes Training machen.

Ich erinnerte mich an einen Trainer, bei dem ich eine philippinische Kampfsportart trainiert hatte, der uns mal sagte „Ich könnt Euch mit allen Leuten anlegen, aber nehmt Euch bloß vor Boxern in Acht!“.
Das fand ich damals schon interessant, bin dann aber auch davon abgekommen. Ich war damals um die 20, und irgendwann waren viele andere Dinge wichtiger als Sport.

Damit war für mich die Entscheidung gefallen, und ich habe auch tatsächlich ein gutes Gym bei uns gefunden. Das Training hatte mich ab der ersten Stunde gehookt. Es war für jemand „untrainiertes“ anstrengend, technisch anspruchsvoll und für mich sehr befriedigend. Auch, wenn man klischeemäßig erwartet, dass man sich beim Boxtraining permanent ins Gesicht haut ohne Sinn und Verstand, so ist Boxen genau das Gegenteil. Es gibt zwar nur relativ wenige Techniken im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten, aber es ist eine Herausforderung, diese auch sauber und präzise anzuwenden.

Boxen ist straight, geradeheraus und hart.

Es ist anspruchsvoll, erfordert gute Reflexe, gutes Timing, gute Technik und eine Wahnsinnskondition. Mit anderen Worten: Boxen fordert den ganzen Körper, und den Geist.

Ich habe mich instant in diesen Sport und das Training verliebt. Ja, ich möchte sogar sagen, dass Boxen mein ganzes Leben verändert hat. Es hat mich aufgeweckt, hat mir gezeigt, welche Grenzen mein Körper hat, und wie ich über diese Grenzen hinauswachsen kann. Und wie unglaublich anstrengend das ist – aber auch wie befriedigend es ist, mehr zu schaffen als vorher.

Es hat nicht lang gedauert, dann war ich nicht nur zweimal die Woche beim Training, sondern dreimal, viermal, manchmal öfter. Habe zu Hause Gewichte gestemmt, vorm Spiegel trainiert, um die meine Technik zu verbessern. Ich habe nach mehr Möglichkeiten gesucht, die Leistungsfähigkeit meines Körpers herauszufinden, habe viele Lauf- und Crossrunning-Events mitgemacht und bin Sprungschanzen hochgerannt.

Auch meine Frau und der Teenie haben sich zum (Thai-)Boxen angemeldet, und das Freitags-Hardcore-Workout war dann über ungefähr zwei Jahre ein toller Wochenabschluß für die ganze Familie. Der Sport hat uns insgesamt auch viel enger zusammengebracht, und das war sehr, sehr schön.

Ich hatte im November 2018 sogar einen Kampf angesetzt (den ich aber leider doch nicht machen konnte, weil mir beim Warmlaufen 30 Minuten vorher ein Muskelfaserriss das Ganze versaut hat). Aber allein die Vorbereitung für einen Kampf, 3 Monate 4-5x Training & Sparring pro Woche, die ansteigende (An-)Spannung vor dem Kampf, das war definitiv ein Erlebnis, welches ich nicht missen möchte (und ja, richtig, die ganze Vorbereitung war dementsprechend für die Katz).

Wir haben dort tolle Trainer, die uns in den Hintern getreten haben, wenn wir mal einen Scheißtag hatten, aber immer mit viel Herz und Humor. Ich mag mein Gym, ich mag das Ambiente, die Trainer und die Leute, mit denen ich trainiert habe. Das Boxen und das Training war mittlerweile ein wirklich integraler Bestandteil meines Lebens.

Und dann kam Corona.

Alles war zu, Training nicht mehr (im Gym) möglich, und das für einen unbestimmten Zeitraum. Kein Training mehr.
Ich habe mich (know your enemy) sehr intensiv mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Corona auseinandergesetzt, und mit Erschrecken Laschets (Ja, wir leben in NRW, leider.) Öffnungsorgie verfolgt und bin immer noch sehr überrascht, dass sich die Auswirkungen in Grenzen halten.

Als die Fitnessstudios wieder öffnen durften, habe ich die Nachricht mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen.

Klar:
„Geil, endlich wieder Training! Endlich wieder rocken!“

aber auch

„Ist es Dir das Wert, zum Training zu gehen und (unnötigerweise) die Chancen auf eine Infektion zu erhöhen und diesen Mist ggf. mit nach Hause zu schleppen?“

Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wirklich über den Übertragungsweg Aerosole [1] Bescheid und bin dann einige Male zum Training gegangen, konnte mich aber auch kaum auf das Training an sich konzentrieren, sondern war mehr damit beschäftigt, mir zu überlegen, wie hoch die Infektionschancen in einem Raum voller Menschen sind, die hart trainieren. Je mehr Infektionen bekannt wurde, die über Aerosole übertragen wurden, desto weniger wollte ich tatsächlich mit anderen trainieren.

Ich weiß nicht, wer von den Menschen, mit denen ich trainiere was in seiner Arbeit / Freizeit macht. Kann nicht einschätzen, in wie fern sich an Hygieneregeln, Abstand und Maskenpflicht gehalten wird. Kann nicht einschätzen, ob jemand trotz Symptomen oder unbemerkt infiziert zum Training geht.

Also musste ich für mich entscheiden, ob ich das Risiko auf eine Infektion (meiner Ansicht nach) unnötig erhöhe, oder ob ich auf die Logik höre und das Training aussetze. Was in Konsequenz bedeutet, dass ich für eine möglicherweise sehr lange Zeit nicht mehr zum Training gehen kann.

Meine Frau hat Asthma und ist gehört zur Risikogruppe.
Und ich könnte mir nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich, weil ich unbedingt zum Training rennen musste, diesen Dreck zuhause anschleppe und ihr was passiert.

Eine Lösung für das Coronaproblem ist lange nicht in Sicht, und, wenn man sich so umsieht, wird Corona verdrängt, oder gar nicht als Bedrohung wahrgenommen. Und das trotz der Tatsache, dass mittlerweile feststeht, dass Corona mehr ist als nur eine einfache Grippe und die Folgen (Angriff der inneren Organe und des Hirns etc.) als Spätfolgen noch nicht einmal absehbar sind.

Für mich ist das Trainieren in einem geschlossenen Raum zusammen mit vielen anderen nichts anderes als nach Malle zu fliegen und dort besoffen aufeinander zu hocken – zwar ohne das bescheuerte Gesaufe, aber im Grunde genau so gefährlich.
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Und hier schließt sich der Kreis zu meiner Einleitung. Etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es tatsächlich mal mache.

Ich habe gestern die Kündigung für mein Box-Gym unterschrieben.
Das macht mich sehr traurig.

Ich hoffe, dass es so schnell wie möglich einen Impfstoff gibt, dann bin ich der Erste, der sich wieder anmeldet.

Fuck Corona!

Mama, Papa, Kind und Kita

Mama und Papa müssen arbeiten, und das Glücksbaby geht in die Kita. Soweit, so einfach, mag man denken. Aber weit gefehlt. Ganz so leicht ist das nämlich nicht. Aber von Anfang an.

Mama ist schon wieder arbeiten, deshalb übernimmt der Papa die Eingewöhnung in die Kita. Eingewöhnung bedeutet, dass ein Elternteil das Kleine in die Kita begleitet. Anfangs nur eine Stunde, einfach um die Erzieher/innen und die anderen Kinder kennen zu lernen.

Das Baby sieht andere Kinder, macht bei Aktivitäten wie Singen und Spielen mit und kann sich, weil ja der Papa dabei ist, an die neue Umgebung und die ganzen vielen neuen Menschen ganz entspannt gewöhnen.

Ich mag das Wort „Erzieher“ nicht. Es erinnert mich an Regeln und Strafen, wenn etwas vom Kind „falsch“ gemacht wurde. Ich möchte mein Kind nicht „strafen“. Ich möchte mit ihm gemeinsam Lösungen für ein Verhalten finden, mit dem alle, inklusive dem Kind, glücklich sein können. Wenn ich etwas ablehne, dann Strafen beim Großziehen der Kleinen.

Er soll also dort nicht „erzogen“ werden. Ich möchte, dass er dort mit anderen Kindern gemeinsam (auf)wachsen und sich im Rahmen festgelegter Regeln bewegen kann. Regeln sind wichtig, aber das Weglassen von Strafen ist es auch.

Die Eingewöhnung

Das erste Mal war ich mit dem Kleinen da, als viel Singen und Spielen mit Tüchern auf dem Plan stand. Leider zu einer Zeit, in der Glücksbaby eigentlich sein Morgenschläfchen hielt. Die Tücher haben ihn, weil er müde war und sie noch nicht kannte, ganz schön erschreckt, aber das Singen und mit Rasseln spielen hat ihm trotzdem gut gefallen.

Die ersten beiden Male hatte ich Baby die ganze Zeit bei mir, beim dritten Mal haben wir dann auch eine Übergabe an eine Begleiterin erfolgreich versucht. Der Kleine ist sogar bei beiden Begleiterinnen auf dem Arm eingeschlafen. Für mich ein ziemlich gutes Zeichen, dass er sich dort wohl fühlt.

Nach zwei, drei Besuchen wurde die Besuchszeit erhöht, und wir haben mehrere Stunden am Stück in der Kita verbracht. Die Kontaktaufnahmen zu den anderen Kindern war noch recht verhalten, aber seine Hauptbezugsperson war ja auch noch immer da.

11 Monate Papa

Seit genau 11 Monaten haben wir ein kleines, tolles, wunderbares Ding neu in unserer Familie. Unser kleiner Sohn, unser kleines Glückskind, der sich gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt hat, und auf einmal, zwei Wochen zu früh, ganz plötzlich da war.

Ich muss zugeben, ich hatte vorher nie irgendwas großartig mit Kindern zu tun, und mir war das ganze Bohei um diese kleinen Dinger, die viel Arbeit machen, wenig Schlaf zulassen, ständig saubergemacht werden müssen, nichts alleine können und offensichlich viele graue Haare kosten, immer ein bisschen zu viel.

Leute setzen seit zigtausend Jahren Kinder in die Welt, warum sollte das was Besonderes sein?

Und doch, irgendwie… ich wollte ein eigenes, ziemlich spät, zugegeben. Aber doch.

Geschichte – Mehr als nur Jahreszahlen.

Geschichte ist eines der wichtigsten und interessantesten Themengebiete, die ich mir vorstellen kann. Geschichte ist so viel mehr als dröge Jahreszahlen.

Geschichte, das sind Ereignisse und Personen, Entscheidungen, Krieg und Frieden, Katastrophen und Erfindungen, Verrat und Intrigen, aber auch Zusammenhalt und Gemeinschaft. Ein Strom der Entwicklung, der uns dahin geführt haben, wo wir jetzt sind.

Ich habe das stumpfe Jahreszahlen-Auswendiglernen, was manche Geschichtslehrer praktizieren, im Geschichtsunterricht nie verstanden. In „Geschichte“ geht es um Menschen, um Ursachen und Wirkungen, im Großen wie im Kleinen.

Entscheidungen und Ereignisse, die vor hunderten oder tausenden von Jahren stattfanden, haben Auswirkungen auf unser heutiges Leben, auf unser Denken, unser Handeln und unsere Welt. Ohne zu wissen, warum Dinge sind, wie sie sind, können wir gemachte Fehler nur wiederholen.

Es gibt prägnante Vorkommnisse, die in kurzer Zeit die ganze Welt umkrempeln können. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben unser aller Leben drastisch verändert. Die Anschläge waren Auslöser der Kriege im Irak und Afghanistan. Durch die Kriege haben hunderttausende Menschen ihr Leben verloren, die gesamte Nahost-Region ist zum instabilen Pulverfass geworden, der globale Terrorismus wächst, ebenso wie die Überwachung eines jeden Einzelnen, Millionen Menschen sind auf der Flucht und in Europa erwacht das Gesicht des Faschismus wieder zu neuem Leben.

Ich sehe eine kausale Kette, die vielleicht nicht ganz rund, aber für den, der sehen will, deutlich ist. Natürlich hat Bush 2003 nicht geahnt, welchen Flächenbrand er mit den Präventivkriegen und seinen an den Haaren herbeigezogenen „WMD“-Anschuldigungen entfachen würde. Die Auswirkungen sind dennoch umso deutlicher.

Überspitzt können man sagen, dass Bin Laden Schuld an der AfD ist.

Geschichte ist persönlich.

Mein Opa, der Marinesoldat im Krieg war, und meine Oma, die ihre Kindheit in Hannover während der Bombardierungen verbracht hat, haben mir schon von kleinauf viel aus der NS-Zeit und ihren Erlebnissen in den Kriegsjahren erzählt.

Ich habe mir, trotz der ausführlichen Erzählungen damals, kaum das Außmaß der Grausamkeiten und des Schreckens vorstellen können, die meine Großeltern erlebt haben.

Gerade jetzt, beim Schreiben, fallen mir viele Dinge wieder ein. Wie etwa die „Feuerstürme“, von denen meine Oma berichtet hat. Diese Feuerstürme rasten nach den Bombardierungen durch die Straßen von Städten und verbrannten Menschen bei lebendigem Leib zu Asche. Meine Oma hat als kleines Mädchen so ihre Nachbarn vorgefunden, nachdem ihr Haus ausgebombt wurde.

Sie sah KZ-Züge am hannoveraner Bahnhof, die dort tagelang standen und aus denen die Menschen darin nach Wasser und Essen, vor Angst und Schrecken geschrien haben. Sie sagte, alle haben gewusst was da passiert. Wer in den Zügen ist. Keiner hat etwas getan.

Mein Opa war als Junge in der Hitlerjugend, und war, wie er selbst sagte, begeistert dabei. Er war sogar Jugendführer seiner Ortsgruppe und ganz stolz darauf, dass Hitler auf dem Weg zum Erntedankfest in seinem Dorf an der B1 angehalten hat und er mit seiner Gruppe vor Hitler strammstehen durfte.

Als er alt genug war (ich meine, ´41) hat er sich freiwillig zur Marine gemeldet, wollte U-Boot-Fahrer werden. Die U-Boot-Fahrer wurden damals zu Helden stilisiert, und das hat auch bei ihm gegriffen.

Glücklicherweise klappte das aus medizinischen Gründen nicht, und so wurde er auf einem Minensuchboot als Funker eingesetzt. Er hat auch an mehreren Gefechten teilgenommen („Wenn Du siehst, wie auf dem Deck vor dir einem Freund der Arsch weggeschossen wird, fängst Du an, Dich zu fragen, was das alles soll.“).

Gegen Ende des Krieges war er für mehrere Jahre in US-Kriegsgefangenschaft. Er war danach mit Politik durch – nicht, dass er sich nicht dafür interessiert hat. Das hat er – und das hat er mir weitergegeben. Dafür bin ich ihm auch für immer sehr dankbar. Für ihn waren nach dem Krieg nur alle Politiker nicht mehr als Verbrecher. Vor allem Strauß, von dem er sagte, dass er „genauso einen Scheißdreck redet wie der Hitler“.

Die einzige Partei, die er – zumindest bis Schmidt – noch akzeptiert hat, war die SPD.

So vorgebildet konnte und kann ich gar nicht anders, als zumindest „gegen Rechts“ zu sein. Meine Eltern und Großeltern haben mich sehr humanistisch und aufgeklärt großgezogen, und von meinen Großeltern (und einem sehr guten Geschichtslehrer) habe ich meine Liebe und mein Interesse für Politik – und damit auch für Geschichte.

Dadurch, dass sie über ihre Erlebnisse gesprochen haben, haben sie scheinbar sehr viel mehr richtig gemacht als die, die geschwiegen haben. Dafür bin ich ihnen für immer dankbar und hoffe, dass ich das auch an meine Kinder weitergeben kann.

Bei dem Großen hat´s scheinbar schon funktioniert.

#Baseballschlägerjahre 2

Oder: Ein Discobesuch mit Überraschungscharakter.

Es muss der Winter ´92/ ´93 gewesen sein, wir hatten noch keine Führerscheine und kein Auto, um der Langeweile des Dorfes zu entfliehen, und uns war uns so ziemlich jedes Mittel dazu recht. So fuhren wir eines lauschigen Winterabends auf der Mofa meines guten Freundes Andreas Richtung nächstgelegener Disco.
Natürlich ohne dass unsere Eltern davon wussten und auf seiner Mofa, weil ich keine eigene hatte.

Zu zweit auf Mofa ist ja nicht erlaubt, und – natürlich – wie sollte es anders sein, erwischte uns ungefähr einen Kilometer vorm Zielort eine Polizeistreife. Ich konnte mich noch auf einem Bauhof unter einem Bauwagen verstecken, und glücklicherweise hat mich der Polizist, der mit der Taschenlampe den Bauhof absuchte, nicht gefunden. Ich glaube, ich hatte selten in meinem Leben bis dahin solche Angst. Dass er mich nicht gefunden hatte, war gut. Was jedoch nicht so gut war, war, dass sie das Mofa am Bahnhof angeschlossen haben, damit mein Kumpel es sich am nächsten Tag wiederholen konnte.

So standen wir 20 Kilometer von zu Hause entfernt in der Pampa, und mussten zusehen, wie wir nach Hause kommen. ÖPNV war damals schon lächerlich auf dem Land – und auf einem Samstagabend nach 22.00 in einer Kleinstadt? Nope. Kein Bus, kein Zug, nichts. Nichts zu machen, kein Weg nach Hause.

In unserer Zieldisco war niemand, den wir kannten, und so machten wir uns zu Fuß auf zur Nächsten, die knapp 6,7 Kilometer entfernt war.

Auf dem Weg hielt auf einmal ein Autokorso neben uns; einer der Fahrer war der drei oder vier Jahre ältere Bruder meines Freundes. Die Autos, es waren mindestens 3, waren vollgepackt mit seinen „Freunden“. Seine „Freunde“ waren die Glatzen aus mehreren Nachbarkäffern und die Autos voll besetzt. (Ich setze Freunde hier in Anführungszeichen, weil die Typen nur mit ihm wegen seines Wagens abhingen. Sonst hatte Dietmar keine Freunde.)

Die Autos waren zwar voll, aber Dietmar konnte seinen kleinen Bruder nicht alleine mitten in der Pampa stehen lassen. Also quetschten wir uns also auf den Schoß des Beifahrernazis, der das gar nicht so geil fand. Vor allem nicht, weil ich, weil´s, wie gesagt, Winter war, und ich mein verdächtiges Pali umhatte. Die Jungs in den Autos waren schon über den „leicht angesoffen“-Pegel hinaus und die Stimmung war gut, aber ich merkte auch, dass eine Kleinigkeit ausreichen würde, das Ganze sehr schnell eskalieren zu lassen.

Auf dem Weg zur Zieldisse erfuhren wir dann auch, warum die Jungs zu so später Stunde noch mit ihren Sportgeräten (Baseballschlägerjahre, remember?) unterwegs waren.

Jedes Auto hatte mehrere Baseballschläger dabei, weil irgendwo irgendwas mit Punks sein sollten.

Vor der Zieldisse angekommen, drehte der Fascho, auf dessen Knien wir saßen, auf einmal völlig durch, brüllte uns an, dass wir ihn rauslassen sollten, kriegte die Beifahrertür auf, schubste uns raus und rannte weg. Dachte ich zuerst. Bis er dann 50, 100m die Straße runter einem Typen (ich glaub, ein Punk) aus vollem Lauf in den Rücken sprang und als dieser zu Boden ging, noch ein paarmal rein trat.

Andreas und ich standen neben dem Auto und wussten nicht, was genau da grade passiert, sowas hatten wir beide noch nicht erlebt.

Die Typen in den anderen Autos feierten die Aktion lautstark, „unser“ Fascho kam zurückgerannt, sprang ins Auto und weg waren sie. Wir haben den (Punk-?)Typen noch auf dem Boden liegen gesehen, hatten aber auch Angst, dass irgendwer mitbekommen hatte, dass wir aus dem Fascho-Autokorso „ausgestiegen“ waren.
Ich kann mich erinnern, dass wir uns nur kurz angesehen und dann zugesehen haben, dass wir da wegkamen.

Zugegeben. Das war sicherlich nicht die beste Wahl. Aber zum einen waren wir froh, aus den Faschoautos raus zu sein, ohne dass uns was passiert war. Zum anderen wollten wir auch nicht unbedingt den Freunden von dem Typ über den Weg laufen und waren völlig überfordert mit der Situation und der sinnlosen Brutalität.

Was mir auch heute noch einen Schauer über den Rücken jagt, ist, dass der „Beifahrerfascho“ jemand war, den ich schon seit Jahren kannte. Ich habe mit dem jahrelang Fußball gespielt. Auch aus den anderen Autos kannte ich ein paar Leute. Nicht gut, zugegeben. Aber auf kleinen Dörfern kennt man jeden in seiner Altersgruppe.

Diese Abgründe, mit denen ich mich auch heute noch auseinandersetze und sehe, dass die Grenzen zur Brutalität und Unzivilisiertheit sehr dünn sind, erschrecken mich und ich habe Angst vor dem, was politisch gerade passiert.

„Es waren nicht Hitler oder Himmler, die mich verschleppt, geschlagen und meine Familie erschossen haben. Es waren der Schuster, der Milchmann, der Nachbar, die eine Uniform bekamen und dann glaubten, sie seien die Herrenrasse.“

Karel Stoika, Auschwitzüberlebender

#Baseballschlägerjahre 1

Auf Twitter geht gerade der Hashtag #Baseballschlägerjahre herum, und dieser Hashtag macht erschreckt mich ebenso, wie er mich an die Jahre ´92, ´93 erinnert. Die „Schrei nach Liebe“-Jahre, kurz nach der Wende. Die Jahre, in denen ich das erste Mal bewusst mit Faschos, Rechten und Neonazis zu tun hatte.

Ich war damals 15, 16 Jahre, auf dem Dorf in der niedersächsischen Provinz, wo nie was los war, und man jeden anderen Jugendlichen beim Namen kannte und höchstwahrscheinlich auch mit vielen in irgendeinem Verein zusammen war, sei es der Fußballverein, der Schützenverein oder die freiwillige Feuerwehr.

Damals war der Amiga der heiße Shit und, wie alle anderen Jugendlichen auch, hab ich Spiele getauscht. Einer meiner Kollegen, mit denen ich Spiele tauschte, Daniel, der von seinem Stiefvater geschlagen wurde und stotterte, war mein erster Berührungspunkt mit dem, was man wohl heutzutage „Rechtsrock“ nennen würde. Daniel hatte von irgendwo eine Kassette mit Störkraft, den Onkelz und Endstufe aufgetrieben und hörte das durchgehend, während wir bei ihm abhingen und zockten. Zwischendurch liefen auch mal die Hosen und der Deutschpunk- Sampler „Festival der Volxmusik“, sogar die Die Ärzte. Hauptsählich aber das Störkraft-Onkelz-Endstufe-Tape.

Ich erinnere mich, dass ich dieses Rechtsrockgeschrammel fürchterlich fand; musikalisch dilletantisch und eigentlich auch kaum verständlich, was da gesungen wurde. Sogar mit 16 und ziemlich deutschpunkaffin (und politisch recht … unbedarft) war mir das zu schlecht – und Deutschpunk ist definitiv nicht eine der qualitativ anspruchsvollsten Musikstile.

Ich hatte damals weder großartige politische Ahnung, noch habe ich verstanden, warum Daniel das gehört hat und auf einmal ein Problem mit Ausländern hatte; wir hingen damals auch mit den Kindern von potugiesischen Gastarbeitern ab, und das war nie ein Problem. Irgendwann hatte Daniel andere Freunde, Freunde, die Autos hatten, um aus dem langweiligen Dreckskaff am Wochenende rauszukommen. Freunde ohne Haare, mit Rangers, hochgekrempelten Domestoshosen und Bomberjacken.

Der Kontakt zu Daniel brach immer mehr ab, und ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen. Das letzte, was ich von ihm gehört habe, war, dass er tief in die rechte Szene abgerutscht ist, in einer WG mit lauter anderen Nazis wohnt und den ganzen Tag säuft und kifft, während sich die blauen Müllsäcke in der ganzen Bude stapeln.

„Lustigerweise“ habe ich das von einer Bekannten erfahren, bei der ich mich nach einem gemeinsamen Kollegen aus der Schulzeit erkundigt habe. Michael. Ein ruhiger, leicht introvertierter, aber wirklich netter Typ mit Vorliebe für Skid Row.

Michael hatte das „Glück“, in einem Nachbardorf zu leben, in dem die komplette Jugendlichen-Riege aus Faschos bestand, vielen von denen ist man, wenn man ihnen über den Weg gelaufen ist, aus dem Weg gegangen. Insgesamt vielleicht 15, 20 Leute, alle mit 80er-Enduros, davon ein harter Kern von 6,8 Typen, die nicht erst nach Problemen gefragt, sondern gleich losgeprügelt haben.

Ich hab keine Ahnung, was passiert ist, aber ich vermute, dass Michael oft genug auf die Mütze bekommen hat, bis er auch der Meinung war, dass Rechts sein der richtige Weg ist. Vermutlich aber der Weg, der einen nicht des Öfteren ins Krankenhaus oder die Geschlossene bringt.

Es gab bei uns mehrere solcher Dörfer, aber seins war im Grunde genommen eine No-Go-Zone für alle, die nicht auch mit Glatze und Bomberjacke durch die Gegend gelaufen sind. Und selbst unter denen gab´s noch genug Leute, die sich untereinander nicht leiden konnten.

Auch Michael habe ich nach der Realschule nie wieder gesehen, und ich hoffe für Daniel und Michael, dass sie´s geschafft haben, aus diesen Kreisen wieder rauszukommen.

Mühlenkopf Kraxler 2019 ( & 2018)

Mühlenkopf Kraxler

Nachdem ich 2018 das erste Mal (und beim ersten Kraxler überhaupt) so bekloppt war, die höchste Großschanze der Welt, nämlich die in Willingen, hochzurennen, musste ich das dieses Jahr gleich noch mal machen.

Ich kann mich noch gut an den „Lauf“ 2018 erinnern. Die Frau, die mich sonst zu diesen ganzen unmöglichen Läufen begleitet, war leider nicht dabei, und so bin ich alleine ins Sauerland, nach Willingen gefahren.

Die Schanze hatte ich schon im Trailer-Video gesehen, und war nicht sonderlich eingeschüchtert davon, was sich aber schlagartig geändert hat, als ich davor stand.

Alle Bilder gibt´s hier auf der offiziellen Website:
https://www2.warsteiner.de/kraxler

Der Kraxler 2018

Wenn man davor steht, sieht das Ganze nämlich schon ganz anders aus als in so´m ollen Video im Internet. Zuerst hatte ich ja die Hoffnung, dass man nur bis zum Schanzentisch muss – was an sich schon heftig ist.

Aber – es soll ja auch eine Herausforderung sein – es geht tatsächlich bis ganz hoch.

Die Schanze ist 156m hoch, die Strecke nur rund 400m lang und hat einen Anstieg von 38°. Ich hätte nicht gedacht, dass 400m einmal so lang werden können. Der Anlauf war ja noch in Ordnung, aber spätestens nach 50m am Hang habe ich gemerkt, dass das hier alles ist, aber kein Kindergeburtstag. Vor allem nicht, bei der Hitze, ich glaube, es waren an die 30°.

Ich laufe recht viel und war der Meinung, damit wäre ich schon ziemlich gut in Form, diesen lumpigen Hügel hochzuwackeln. Ich hätte mich nicht mehr täuschen können.

Ohne lügen zu wollen: Der Kraxler war das brutalste an sportlicher Betätigung, was ich jemals gemacht habe.

Jeder einzelne Zentimer muss erkämpft werden, jedes Abrutschen auf dem lockeren Boden, das Festhalten an den Grasbüscheln und darauf zu achten, den Tritt zu behalten kostet unglaublich viel Kraft. Und das ist nur die Ruheposition.

In meinem Falle sind das ungefähr 80kg, die da oben raufbefördert werden sollen, und jedes Gramm spürt man. Klettert man also dort den Hang hoch, ist die Steigung so, dass man kein Ende sieht; Und die Strecke kommt einem noch unendlicher vor, als sie eigentlich ist.

Ist man nach gefühlten Äonen Anstrengung und Schmerzen endlich am Schanzentisch angelangt und im Grunde genommen schon völlig am Ende, kommt der anstrengende Teil: Die Schanze selbst.

Da die Schanze keinen Halt bieten würde (was ja auch ziemlich blöd wäre, wenn da im Winter irgendwelche Verrückten runterfahren), wurden praktischerweise Holzlatten quer über der Fahrbahn befestigt. Damit hat man zumindest ein bisschen Unterstützung. Mehr als einmal auf der Schanze haben mich die sich neben der Schanze befindlichen Treppenstufen angelacht und gesagt: „Komm schon, hier lässt sich´s viel einfacher laufen! Das ist viel zu anstrengend, das packst Du eh nicht!“

Ich weiß nicht wie, aber ich hab´s tatsächlich bis ganz nach oben geschafft. Ich kann mich erinnern, dass ich in den ersten 3-4 Minuten nur auf dem Rücken liegen konnte, während ich versucht habe, Luft zu kriegen und nicht mal mehr in der Lage war, ein mir angebotenes Wasser zu trinken. So tot war ich nicht nach 10 Runden Sparring. Kein Witz.